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Kleine Schlappe für Bernie
Joe Biden gewinnt am Super Tuesday in den USA die meisten Staaten und Delegierten
»Ich habe die letzten Tage nur wenige Stunden geschlafen«, erzählt Michelle Kassel zu Beginn des Wahlabends, als sie das Publikum in einem Biergarten in Austin begrüßt. Die Frau im blauen Bernie-Shirt hat die Gruppe »Texans for Bernie 2020« gegründet, sie haben über 50 verschiedene Button-Designs für Sanders’ Wahlkampf. Eigentlich arbeitet Kassel als Lehrerin. Sie kommt aus Vermont, ihre Großeltern haben sich vor 40 Jahren als Freiwillige für Sanders’ Kampagne für das Amt des örtlichen Bürgermeisters engagiert. Nun führt sie die Familientradition fort und heizt dem Publikum im Biergarten mit der Verkündung guter Nachrichten zu Bernie Sanders ein - im Hintergrund ist die Wahlberichterstattung des Fernsehersenders MSNBC auf eine Leinwand projiziert.
Einer der rund 150 anwesenden Sanders-Anhänger ist Wolf Larson*. Er ist extra aus Dänemark angereist, um für Sanders Haustürwahlkampf zu machen. Er spricht Italienisch und hat sich auch in der Wähleransprache in Latino-Nachbarschaften versucht. »Das hat nicht so gut funktioniert«, sagt der Anthropologe lachend. Stattdessen war er dann später in anderen Nachbarschaften unterwegs. Dass er aus Dänemark kommt, hilft ihm dabei, für Sanders’ zentrales Versprechen einer staatlichen Krankenversicherung zu werben. Er kann von seinen persönlichen Erfahrungen aus Dänemark sprechen und berichtet, wie es ist, mit staatlicher Krankenversicherung zu leben. »Viele Leute glauben die furchterregenden Geschichten über Dänemark, die ihnen auf Fox News erzählt werden«, sagt Wolf.
Trotz Begeisterung für Sanders zeigt Larson sich am Abend, als die ersten Ergebnisse angezeigt werden, auch nachdenklich. »Dass sich alle Moderaten um Biden gesammelt haben, war smart, das hat Eindruck gemacht. Viele Wähler auch in Austin waren bis zum Ende unentschlossen. Ich habe mit Studenten gesprochen, die erst in den letzten Tagen angefangen haben, sich überhaupt zu informieren, und die vor allem die letzten Nachrichten zu Biden gesehen haben«, sagt er.
Genau das erweist sich an diesem Abend als fatal für Bernie Sanders. In vielen Vorwahlstaaten entschied sich rund die Hälfte der Wähler erst in den letzten Tagen. Davon profitierte in vielen Staaten in hohem Maße Joe Biden. Er reitet auf einer Welle von »free media« zum Sieg in vielen Vorwahlstaaten. So nennen Analysten das Phänomen, wenn ein Kandidat von positiver Berichterstattung profitiert. Die führenden liberalen US-Fernsehsender MSNBC und CNN hatten in den letzten Tagen offenes »Biden-Cheerleading« betrieben. Die Sanders-Anhänger im Biergarten interessiert an diesem Abend vor allem das Rennen in Texas. Immer wieder bricht Jubel aus, wenn Auszählungsstände zur Vorwahl im Bundesstaat verkündet werden. Lange Zeit führt Sanders in der Wahlnacht im Staate Texas. Der Grund: Zuerst werden die schon Tage alten Briefwahlstimmen ausgewertet. Die Stimmen vom Super Tuesday selbst kommen erst später dazu. Am Ende der Nacht jedoch liegt Biden in Texas mit über vier Prozent vorne. Sanders gewinnt zwar den Landkreis um Austin deutlich, anderswo aber holt Biden genug Stimmen, um das auszugleichen.
In anderen Landesteilen gewinnt Joe Biden noch viel deutlicher als in Texas. Zum Beispiel in North Carolina, wo sich das Sanders-Lager noch Tage zuvor Chancen ausgerechnet hatte. Er holt wie erwartet den Südstaat Alabama mit seiner eher konservativen schwarzen Wählerschaft. Während Sanders 2016 Oklahoma, offenbar nur wegen Anti-Hillary-Stimmen, noch knapp gewonnen hatte, verliert er den Staat nun deutlich an Biden.
Auch die ländlich geprägten Staaten Tennessee und Arkansas gehen an den Ex-Vizepräsidenten. Diese Südstaaten votierten schon 2016 für Hillary Clinton. Auch in diesem Jahr hat es Sanders kaum geschafft, seine Unterstützung unter den vielen schwarzen Wählern in der Region zu verbessern. Er gewinnt zwar jüngere Schwarze, aber nicht ihre Eltern und Großeltern. Am deutlichsten geht der Bundesstaat Virginia an Biden. 53 Prozent der Stimmen erhält er dort.
Am Dienstag liefen nach dem Ausscheiden von Amy Klobuchar einen Tag in Minnesota zuvor offenbar fast alle Wähler der Senatorin des einzigen Staates im Mittleren Westen, der am Super Tuesday wählt, zu Biden über. Sie bescherten ihm dort einen deutlichen Sieg in einem Staat, der eigentlich eine Tradition von »linkem Farmerpopulismus« hat und den Sanders 2016 in der Vorwahl noch klar gewonnen hatte. Auch in Maine und Massachusetts, dem Heimatstaat von Elizabeth Warren, werden Sanders entscheidende Prozentpunkte für den Sieg verwehrt: Warren holt in Massachusetts 21 Prozent und in Maine knapp 16 Prozent der Stimmen.
Im Westen des Landes ist Sanders in der Super-Tuesday-Nacht erfolgreicher. Er gewinnt den liberalen Bergstaat Colorado, der schon 2014 Marihuana legalisiert hat. Er gewinnt Utah, seinen Heimatstaat Vermont und vor allem das bevölkerungsreiche Kalifornien mit rund 10 Prozent Vorsprung. Dort sind die Schlangen vor den Wahllokalen so lang, dass das Sanders-Team versucht, per Gerichtsweg eine längere Öffnung der Wahllokale durchzusetzen.
Doch zu einer Stimmenspaltung der moderaten Wähler zwischen den zentristischen Kandidaten, wie es Umfragen noch vor ein bis zwei Wochen zeigten, kommt es Dienstagnacht kaum. Laut diesem Szenario wären viele Zentristen in mehreren Staaten unter die 15-Prozent-Hürde gefallen und hätten dort gar keine Delegierten für den Nominierungsparteitag im Juli gewonnen.
Sanders selbst schrammt nur knapp an der 15-Prozent-Marke in Alabama vorbei. In Colorado, Utah und Kalifornien kommen drei respektive zwei seiner Mitbewerber über die Delegiertenhürde und machen den Wahlsieg von Sanders weniger bedeutsam, weil er so weniger Delegierte erhält. Das gleiche passiert selbst in Sanders’ Heimatstaat Vermont, wo Biden 20 Prozent erhält und selbst in Sanders’ »Hinterhof« einige ein paar Delegierte erringen kann. Am Ende der Nacht erhält Joe Biden gegenüber dem vorher bei den Parteitagsdelegierten führenden Sanders laut Berechnungen der »New York Times« über 660 Delegierte. Der demokratische Sozialist kommt dagegen aktuell auf weniger als 600. Damit gewinnt Obamas Ex-Vizepräsident 45 Prozent der am Super Tuesday zu vergebenden Delegiertenmandate, der Senator aus Vermont 39 Prozent.
Der größte Verlierer des Super Tuesday ist Michael Bloomberg. Der Milliardär hat allein für Anzeigen und Fernsehspots über 500 Millionen US-Dollar ausgegeben, schafft es aber Dienstagnacht nur, einen Bundesstaat zu gewinnen: das kleine Überseegebiet Amerikanisch-Samoa. Er kann am Ende der Nacht nur etwas über 100 Delegierte vorweisen.
»Egal was noch passiert, mobilisiert weiter!«, ruft ein schwarzer Aktivist in Austin irgendwann wütend ins Mikrofon. Immer wieder wird es emotional, viele hier haben in den letzten Tagen Haustürwahlkampf für Sanders gemacht. »Drop out«, ruft ein Mann mit einem Bierglas, als Zahlen für Elizabeth Warren über den Bildschirm flimmern. »Von Bernie Sanders lernen, heißt niemals aufgeben«, feuert der Moderator das Publikum an, nach vorne zu schauen auf die nächsten Vorwahlen. Das ist nicht ganz unbegründet: Rund 60 Prozent der Delegiertenmandate sind noch zu vergeben. * Name geändert Kommentar Seite 10
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