Schnitt mit dem Messer Dada durch den letzten Weimarer Bierbauch
Harald Neckelmann erinnert an die avantgardistische Fotokünstlerin Hannah Höch
Im August 1918 machten Hannah Höch und Raoul Hausmann Urlaub auf der Ostsee-Insel Wollin und amüsierten sich über einen Öldruck im Schlafzimmer des Fischerhäuschens, in dem sie abgestiegen waren. Dieser Druck zeigte den Sohn des Fischers in Uniform in fünf verschiedenen Positionen, wobei jeweils dieselbe Fotografie seines Kopfes auf die unterschiedlichen Uniformen geklebt war. Diese zu der Zeit beliebte Methode, Soldaten in sauberen Uniformen und heldenhaften Haltungen jenseits der Schrecken des Krieges darzustellen, war für die beiden Urlauber Anlass zu überlegen, ob sich die Klebetechnik auch für andere Zwecke eigne. Die Idee der Fotomontage war entstanden.
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Harald Neckelmann (Hg.): Hannah Höch: »Mir die Welt geweitet«. Das Adressbuch.
Transit, 319 S., geb., 25 €.
Hannah Höch und Raoul Hausmann hatten Kontakt zu einer Bewegung, die aus der Schweiz nach Deutschland gekommen war und von dort den Fantasienamen »Dada« mitbrachte. Höch selbst, die die vom Vater vorgesehene gutbürgerliche Laufbahn ausgeschlagen und unter anderem bei Emil Orlik Maltechnik studiert hatte, begann schon früh zu malen und mit Farben zu experimentieren. 1919 hatte sie mit »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauch-Kulturepoche Deutschlands« ihre wohl berühmteste Collage geschaffen.
Es war mehr als eine Provokation, es war eine Kampfansage an die bürgerliche Kultur mit aller ihrer Verherrlichung des Krieges, des Hurra-Patriotismus und des verlogenen Mythos vom tapferen Frontsoldaten, der ungeachtet des Blutes und des Drecks im Schützengraben tapfer für den Kaiser und das Vaterland vorwärtsstürmt, um im »Stahlgewitter« heldenhaft zu sterben und so den noch lebenden Kameraden ein Vorbild zu sein.
In Opposition dagegen trafen sich Männer wie Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp im Frühjahr 1916 in der von Hugo Ball und seiner späteren Frau Emmy Hennings in Zürich gegründeten Künstlerkneipe »Voltaire« und schlossen sich zu »Dada« zusammen, einer Bewegung, die neue Ausdrucksformen ebenso wie enttabuisierte Inhalte suchte. Dabei ging es nicht so sehr um politische Alternativen, sondern um den Bruch mit dem Konventionellen und darum, der Kunst den Nimbus des Elitären zu nehmen. Die Schweiz, zu dieser Zeit Fluchtort der Emigranten und der Wehrdienstverweigerer, war das geeignete Milieu für das Entstehen einer derartigen Bewegung, die alsbald auch Deutschland, Frankreich und die USA erreichte, um allerorts Stichwortgeber und Teil der künstlerischen Avantgarde zu werden.
Dada war eine von Männern dominierte Bewegung, der nur wenige Frauen angehörten. Aber Hannah Höch, der oft von den ehemaligen Kollegen ihre Zugehörigkeit bestritten wurde, gehörte wohl zu den produktivsten Mitgliedern dieser Strömung. Ihre Collagen, Puppen, Konstruktionen und Bilder aus jener Zeit bestätigen eine ungewöhnliche Produktivität. Sie benutzte nicht nur Farben, sondern auch verschiedene Materialien für die Komposition ihrer Bilder.
Vernissagen und Ausstellungen ließen sie über die Grenzen Deutschlands hinweg bekannt werden. Privat allerdings hatte sie weniger Glück, nach den langen Jahren mit Raoul Hausmann, den sie immer wieder mit einer anderen Frau teilen musste, folgte eine Liaison mit dem eher dem Konstruktivismus zuneigenden Kurt Schwitters, der ebenfalls geniale Collagen schuf.
Die längste Beziehung hatte Hannah Höch allerdings mit der holländischen Schriftstellerin Til Brugman, die bis 1936 hielt. 1938 heiratete sie den 21 Jahre jüngeren Vertreter Kurt Matthias, der aber eine krankhafte Neigung zum Exhibitionismus hatte. 1944 wurde die Ehe geschieden, und Hannah Höch lebte in ihrem 1939 gekauften Häuschen in Heiligensee in »radikaler Einsamkeit«.
Von den Nazis wurde ihre Kunst als »entartet« diffamiert und diskreditiert. Sie lebte fortan in permanenter Angst, dass ihre über all die Jahre gewachsene Sammlung beschlagnahmt wird. Vielleicht waren es die Abgeschiedenheit und ihre Vorsicht, dass die Nazis nicht auf sie aufmerksam wurden. Aber sie arbeitete, nunmehr nichtöffentlich, weiter, und ihre Sammlung auch der frühen Dada-Arbeiten überstanden den Krieg, nach dem sie sich sofort in der Kultur- und Bildungsarbeit engagierte und nach ihren eigenen Worten versuchte, die »verlorene Zeit wieder aufzuholen«.
Erhalten geblieben ist auch ihr bereits 1917 angelegtes Adressbuch, nunmehr vorzüglich ediert und kommentiert von Alma-Elisa Kittner und Harald Neckelmann. Im Adressbuch sind 1300 Personen verzeichnet. Streckenweise liest sich diese Publikation wie ein »Who is who?« nicht nur der deutschen Intellektuellen, der Maler, Schriftsteller, Fotografen, Verleger, Galeristen und all der anderen Protagonisten der Avantgarde. Überdies ist es ein faszinierend schönes Buch geworden, das der Collage-Technik von Hannah Höch Tribut zollt. Auf einem von ihr 1919 geschaffenen farbigen Grund ist das Bild Hannah Höchs aufgeklebt, das sie mit ihrem für sie typischen schwarzen Pony zeigt, einer Frisur, die ihr Aussehen auch dann noch bestimmte, als ihre Haare schon grau wurden.
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