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Verzögern statt verhindern
Städte abriegeln, Grenzen schließen - was darf der Staat?
Erst wurde eine Region zum Sperrgebiet erklärt, dann das ganze Land. Sukzessive wurde das öffentliche Leben in Italien immer mehr eingeschränkt. Mittlerweile sind auch Geschäfte und Restaurants geschlossen, nur Supermärkte und Apotheken bleiben (Stand Freitag) geöffnet. Menschen auf den Straßen werden von Polizisten kontrolliert und müssen sich rechtfertigen, warum sie ihr Haus verlassen haben.
Italien ist der Testfall. Prognosen sehen für andere Länder die gleiche Entwicklung bei der Ausbreitung des Coronavirus voraus wie in Italien - in Deutschland mit etwa zehn Tagen Verzögerung. Um das zu verhindern, muss die Kurve flach gehalten werden (englisch: Flatten the Curve - siehe Grafik). Die Idee dahinter: Virologen sind sich einig, dass sich das Coronavirus nicht mehr aufhalten lässt. Jeder fünfte Deutsche könnte im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Wird die Ausbreitung verlangsamt, kann verhindert werden, dass das Gesundheitssystem kollabiert, weil es für Pandemien nicht ausgelegt ist.
Deshalb wurden in dieser Woche in vielen Bundesländern Veranstaltungen ab 1000 Teilnehmern abgesagt, kurz darauf auch öffentliche Einrichtungen wie Museen, Theater Bibliotheken und schließlich auch Schulen für die nächsten Wochen geschlossen. Forscher und Politiker - auch Kanzlerin Angela Merkel - empfehlen Social Distancing - Abstand halten zum Nächsten, damit gesunde und infizierte Menschen möglichst nicht aufeinander treffen.
Doch was, wenn all die Maßnahmen nicht ausreichen, um eine Ausbreitung des Virus wie in Italien, China oder dem Iran zu verhindern? Könnten dann auch hier einzelne Regionen oder das ganze Land abgeriegelt werden oder Ausgangssperren errichtet werden? Könnte die Polizei künftig Straßen sperren und notfalls mit Gewalt dafür sorgen, dass Menschen Städte - oder ihre Häuser - nicht verlassen?
In Deutschland greifen bei Pandemien wie dieser zunächst der Nationale Pandemieplan und das Infektionsschutzgesetz. Dem Gesetz zufolge sind die Länder - und dort die jeweiligen Gesundheitsbehörden - für Schutzmaßnahmen zuständig. Sie können Menschen zu häuslicher Isolation verpflichten oder anordnen, dass sie für eine begrenzte Zeit bestimmte Orte nicht betreten dürfen. Beides ist schon geschehen. Für den Fall, dass sich jemand vorsätzlich nicht an die Anordnungen hält, ist die erzwungene Unterbringung im Krankenhaus möglich - aber auch eine Geld- oder bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.
Doch dazu ist es soweit bekannt bisher nicht gekommen. Häufig spricht das Gesundheitsamt lediglich Empfehlungen aus. Auch bei Anordnungen bleibt es in der Regel bei einem täglichen Kontrollanruf. Ausreichend Personal, alle Menschen in häuslicher Isolation zu Hause aufzusuchen, gibt es nicht. Geschweige denn Polizisten, um mögliche Missachtungen zu ahnden.
Ob es nach dem Infektionsschutzgesetz auch möglich wäre, Städte oder Gemeinden abzuriegeln, ist umstritten. Das Bundesinnenministerium sieht das so, derzeit sei die Notwendigkeit aber nicht gegeben. Zuständig für eine solche Entscheidung sei die jeweilige Gesundheitsbehörde. Und da der Städte- und Gemeindebund die Gesetzeslage anders auslegt, ist eher nicht anzunehmen, dass es zu einer Abriegelung von Städten kommt. Denn genau genommen erlaubt das Gesetz die Isolierung einzelner Personen, nicht aber von Gebieten.
Um die Grenzen nach Deutschland zu schließen, müsste daher auch auf eine andere Gesetzgebung zurückgegriffen werden. Nach dem Schengener Grenzkodex müsste eine »ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit« vorliegen, heißt es beim BMI. Doch das Robert-Koch-Institut hält die Grenzschließung nicht für sinnvoll, um die Pandemie einzudämmen. Grundsätzlich, so das BMI, würden die deutschen Grenzen wie gehabt kontrolliert, und bei einem Covid-19-Verdachtsfall werde das örtliche Gesundheitsamt informiert.
All diese Maßnahmen müssen auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Reicht es, Großveranstaltungen zu verbieten, öffentliche Einrichtungen zu schließen und die Bevölkerung ansonsten aufzufordern, sich risikoarm zu verhalten? Noch lautet die Antwort auch vom BMI: ja.
Doch drastische Ereignisse können auch drastische Eingriffe nachfolgen lassen. Deshalb scheint auch niemand die Aussage treffen zu wollen, dass repressive staatliche Maßnahmen nicht noch kommen könnten. Stattdessen wird darauf gesetzt, die Infektionsrate zu verlangsamen, um es gar nicht so weit kommen zu lassen: Flatten the Curve.
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