Grüße aus dem Homeoffice
FLATTERSATZ: Andreas Koristka findet, dass Joachim Gauck bei seinen Reden über Freiheit und Verantwortung etwas vergessen hat
Bleiben Sie ruhig, denn die Lage ist angespannt wie dreilagiges Klopapier. Auf dem Spiel stehen nicht nur Menschenleben, sondern auch der allseits beliebte Kapitalismus. Karl-Heinz Rummenigge hat in einem Interview bereits angedeutet, dass das Coronavirus jede Menge unschuldiges Geld vernichten wird. Geld, das nun wirklich absolut gar nichts dafür kann, dass es vom Chinesen benutzt wurde, um infizierte Fledermäuse fürs Abendbrot zu kaufen. Jetzt haben wir den Fledermaussalat und die Welt steht vor der Wahl: Shutdown oder Seuchentod.
Wohl dem, der jetzt genug Nudeln und Toilettenpapier sein Eigen nennt. Dinge, von denen wir bis vor Kurzem gar nicht wussten, dass sie so existenziell für unser Leben als zivilisierte Mitteleuropäer sind. Aber dafür sind Krisen da. Sie schärfen unseren Blick für das Wesentliche. Wie viele Menschen werden es in den letzten Tagen bereut haben, ihr Studium der Kulturwissenschaften einer Ausbildung als staatlich anerkannter Toilettenpapiermacher vorgezogen zu haben? Wie viele werden sich dafür verdammen, nicht die teuren Barilla-Nudelprodukte gekauft zu haben, als es sie noch gab?
Dennoch sollte man sich ab und zu zur Vernunft zwingen. Die Logik gebietet es, dass man nur so viel Toilettenpapier kauft, wie in die eigenen vier Wände passt. Wer versehentlich mehr erworben haben sollte, dem könnte ich für einen schmalen Taler von 450 Euro pro Monat meinen Sechs-Quadratmeter-Keller in bester Berliner Stadtrandlage anbieten. (Melden Sie sich einfach unter der Chiffre »Würde wahren« beim »nd«.)
Egal, wie uns das Virus zusetzen wird, wir wollen eben doch vor allem Mensch bleiben. Sollte es in ein paar Tagen dazu kommen, dass wir uns von unseren Balkons aus »Hoch auf dem gelben Wagen« oder »Hörst du die Regenwürmer husten?« zuträllern, dann wollen wir es mit einem achtsam abgeputzten Gesäß tun und dabei stolz eine Packung Hartweizengrieß-Spaghetti als Fanal für die Freiheit und den freien Warenverkehr in die Luft recken.
Ich denke in den letzten Tagen gerne an Joachim Gauck, der uns damals so eindringlich zu verstehen gab, dass Freiheit und Verantwortung die wichtigsten Dinge im Leben sind. Freiheit, Verantwortung und Toilettenpapier! Das muss man wohl ergänzen. Und ich würde dies Gauck gerne persönlich sagen, wäre soziale Distanzierung momentan nicht das Gebot der Stunde. Aus diesem Grund werden in nächster Zeit auch alle Mitglieder der Familie Quandt auf den Austausch von Zungenküssen mit Obdachlosen verzichten und nicht mehr selbst ihre Einkäufe bei Aldi tätigen, wie sie es bislang taten.
Aber sind diese Maßnahmen wirklich sinnvoll? Wer sicher gehen will, dass er im eh schon stark strapazierten deutschen Gesundheitssystem ein Krankenhausbett oder gar einen Platz auf einer Intensivstation inklusive Beatmungsgerät ergattert, der sollte sich besser beizeiten infizieren. Jetzt noch schnell behandelt werden, bevor Plätze im Krankenhaus genauso knapp werden wie Fusilli der Rewe-Eigenmarke!
Das sind Gedanken, an denen ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, in diesen schweren Momenten teilhaben lassen möchte. Momente, in denen ich mich im Homeoffice befinde und meine beiden Kinder schon nicht mehr in die Kita gebe. Ich wollte die Zeit eigentlich für Selbstoptimierung nutzen und in den nächsten fünf Wochen acht Sprachen auf Babbel lernen, mir einen Sixpack antrainieren, die Kinder im Homeschooling das Lesen lehren und ihnen die Quantenphysik näher bringen. Nun beschränken wir uns aber zunächst darauf, dass der Große gerade in der Badewanne ein Lagerfeuer entfacht und der Kleine aus dem Biomülleimer frisst, während ich diese wichtigen Worte zu Papier bringe. Ich schreibe sie für Sie, damit Sie wissen, dass Sie nicht die Einzigen sind, die leiden müssen! Möge diese Einsicht Ihnen Kraft geben!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
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