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Big Data und Überwachung in Ostasien
Digitale Werkzeuge erweisen sich als effektive Mittel zur Bekämpfung des Coronavirus
Bereits Ende Januar behauptete der Vizedirektor der Gesundheitskommission China: »Wir glauben, die technologische Entwicklung beim Kampf gegen den Virusausbruch ist auf unserer Seite.« Fortschrittliche Gesichtserkennungs-Software und ein Klarnamen-System der Regierung würden dabei helfen, mögliche Infizierte zu identifizieren und die Verbreitung des Erregers zu stoppen.
Fast zwei Monate später ist dies offenbar gelungen: Am Dienstag vermeldeten die Behörden in Wuhan lediglich eine Neuansteckung, landesweit waren es 20 - allesamt importiert aus dem Ausland. Am Mittwoch dann die Triumphnachricht: Landesweit keine Neuansteckung Das Virus wirkt - zumindest vorübergehend - unterdrückt.
Dass Big Data und öffentliche Überwachung einen großen Anteil an diesem epidemiologischen Erfolg haben, ist unbestreitbar. Kein Land auf der Welt ist in diesem Bereich fortgeschrittener als China. Ob beim Einkauf von SIM-Karten fürs Handy, Registrieren für eine App oder dem Buchen eines Flugtickets: Für jede Transaktion ist ein von der Regierung ausgegebener Personalausweis nötig. Zudem verfügt das Land über 200 Millionen Sicherheitskameras, von denen viele mit Gesichtserfassungssoftware ausgestattet sind. Ohne nennenswerte Datenschutzgesetze können sämtliche Informationen zentral verknüpft werden. Ein Fallbeispiel: Jeder Passagier, der am Pekinger Hauptbahnhof ankommt, muss beim Verlassen der Eingangshalle eine Kamera passieren, die die Körpertemperatur erfasst. Sobald jemand Fiebersymptome zeigt, wird der Verdächtige von den Sicherheitskräften aus der Menge herausgefischt. Im nächsten Schritt würden die Behörden jeden einzelnen Passagier im selben Zugwaggon alarmieren, Identität und Telefonnummer lassen sich durch den Ticketkauf leicht herausfinden.
Die drei großen Telekommunikationsanbieter teilen ihre Daten sowohl mit dem Ministerium für Informationstechnologie als auch mit der Nationalen Gesundheitskommission. Damit jeder, der ein Smartphone bei sich führt, geortet werden kann. Allein in Wuhan gab es rund 1800 Teams, die vor allem damit beschäftigt waren, mögliche infizierte Personen auf Grundlage der technischen Daten aufzuspüren. Einige Stadtgemeinden haben ebenfalls die Bewegungsabläufe von potenziellen Infizierten publiziert - um Anwohner davor zu warnen, die betroffenen Orte aufzusuchen. Wie effizient das »mobile tracking« ist, zeigt ein Fall vom Februar: Als ein Imbissbesitzer aus der Stadt Wenzhou erkrankt ist, haben die Behörden in dessen Folge 40 Menschen unter Quarantäne gesteckt. Von den Daten der Mobilfunkanbieter konnte die Lokalregierung genau bestimmen, dass sich rund 3600 Personen in letzter Zeit in der Nähe des Imbisses aufgehalten haben. Diese wurden dann einzeln angerufen, um nähere Details in Erfahrung zu bringen.
Auch auf sozialen Medien berichten Chinesen von ihren Erfahrungen mit der Überwachung: Eine Hotelbesitzerin aus Wuhan ist trotz Quarantäne aus ihrer Wohnung herausgegangen, um beim Pförtner eine Essenslieferung abzuholen. Nur wenige Schritte im Freien umkreiste die Chinesin eine Drohne, die sie aufforderte, umgehend wieder umzukehren. Was für europäische Wertevorstellungen dystopisch klingt, wird in China kaum kritisiert - schlicht, weil es in dem totalitären Staat keine funktionierende Zivilgesellschaft oder freie Medien gibt.
Doch auch in den demokratischen Nachbarn Ostasiens wird die radikale Transparenz als Aufklärung für das Gemeinwohl begrüßt. Taiwans Erfolg im Kampf gegen das Virus beruht zu Teilen aufgrund des Einsatzes modernster Technik: Mit Hilfe von Big Data informieren Smartphone-Apps, an welchen Apotheken noch Gesichtsmasken zu kaufen sind.
Zudem hat die Einwanderungsbehörde mit der staatlichen Krankenversicherung zusammengearbeitet: So konnten Krankenhäuser und Apotheken beim Scannen der Krankenkarte von Taiwanesen Zugriff auf deren Reiseaufenthalte erhalten und Risikopatienten umgehend identifiziert werden. Anwohner unter Quarantäne wurden per Mobilfunksignal kontrolliert, ob sie heimlich ihre Wohnungen verlassen haben. Regelbrecher werden mit strikten Strafen belegt: Ein Paar musste fast zehntausend Euro zahlen. Drei Besucher aus Hongkong wurden zu jeweils 2000 Euro verdonnert, nachdem sie eine Woche lang »verschwunden« waren.
Zumindest empirisch scheint der Maßnahmenkatalog Taiwans effizient zu sein: Als im Januar das Virus sich rasant ausbreitete, prognostizierten Modellrechnungen, dass der Inselstaat direkt nach China am schwersten betroffen sein müsste: Schließlich liegt Taiwan nur 130 Kilometer vor dem chinesischen Festland und hat einen großen Anteil an Pendlern. Tatsächlich hat Taiwan nur 54 aktive Fälle. Doch in einer wissenschaftlichen Studie des »Journal of the American Medical Association« heißt es auch: Es ist unklar, »ob die intensiven Maßnahmen bis zum Ende der Epidemie aufrechterhalten werden können und von der Bevölkerung mitgetragen werden«. Auch in Südkorea gilt aufgrund eines Gesetzes zur »Prävention von Infektionskrankheiten« radikale Transparenz: Nicht nur werden täglich zweimal Regierungs-Briefings online gestreamt, auch publizieren Behörden die Bewegungsabläufe eines jeden Infizierten. Wer in der Nähe eines Hotspots mit vielen Infektionen wohnt, wird proaktiv von der Regierung per Alarm-SMS angeschrieben. Einreisende aus Risikogebieten müssen sich am Flughafen eine App der Regierung herunterladen, bei der sie für die nächsten 14 Tage zweimal täglich ihre Körpertemperatur eingeben.
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