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Protest mit Sicherheitsabstand
Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn fordert Ende von Zwangsräumungen
Trotz Corona-Pandemie wird in Berlin noch demonstriert – wenn auch mit 1,50 Meter Sicherheitsabstand und Atemschutzmasken. Rund zwei Dutzend Menschen hat das »Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn« am Freitag mobilisiert. »Wohnen ist systemrelevant«, so das auf einem Transparent zu lesende Anliegen. »Wir fordern von der Stadt, dass sofort alle Zwangsräumungen eingestellt werden«, ruft der erste Redner den Kundgebungsteilnehmer*innen zu. Denn gerade in Zeiten der Ausbreitung des Coronavirus könne man Menschen nicht auf die Straße setzen. Auch Strom- und Wassersperren sollten in der Krise gestoppt werden.
Auch aus der Politik mehren sich die Forderungen nach einem Räumungsstopp. Am Freitag hat Charlottenburg als erster Bezirk Zwangsräumungen von Wohnungen bis auf weiteres ausgesetzt. Auch Stromsperren werden ab sofort nicht mehr durchgeführt, wie das »nd« aus der Senatsveraltung für Justiz erfuhr. »Wohnungsräumungen und Vollstreckungen von Zählersperrungen sind bis auf Weiteres auszusetzen, da bei diesen Vollstreckungen in Anbetracht der derzeitigen besonderen Lage in der Regel eine besondere unbillige Härte für die Schuldnerinnen und Schuldner anzunehmen ist«, so die Anordnung des Präsidenten des Amtsgerichts Charlottenburg für die Gerichtsvollzieher.
Den Aktivist*innen vor dem Roten Rathaus geht das nicht weit genug. Geht es nach ihnen, sollen die Tausenden leerstehenden Wohnungen landeseigener Unternehmen für die Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen genutzt werden, da gerade in Sammelunterkünften die Ausbreitungsgefahr des Virus besonders groß sei. Auch Hotels mit ihren großen Küchen böten sich als Unterbringung während der Krisenzeit an. Besetzungen leerstehender Wohnungen müssten zudem straffrei bleiben. An die Politik gerichtet ruft eine Teilnehmerin: »Wenn die nicht beschlagnahmen, müssen wir besetzen« – unter den Demonstrierenden branden Jubel und Applaus auf.
Das Szenario an diesem Freitagnachmittag wirkt dystopisch. Kalter Wind bläst durch die Straße, fast alle Demonstrant*innen bedecken Mund und Nase mit einem Schal oder einer Schutzmaske, einige haben die Kapuzen ihrer Jacken oder Pullis über den Kopf gezogen. Das Vermummungsverbot scheint heute niemanden zu interessieren, auch nicht die beiden Polizisten auf der anderen Straßenseite. Schließlich ist Berlin wegen des Coronavirus im Ausnahmezustand.
Aus diesem Grund sind auch viele Aktionen des für den 28. März geplanten »Housing Action Day« verschoben worden (»nd« berichtete). »Die großen Demos holen wir nach«, ruft die Rednerin ins Mikrofon. Trotzdem soll nicht alles stillstehen an dem europaweiten Aktionstag, an dem sich in Deutschland Initiativen aus 38 Städten beteiligen: »Wir werden versuchen, kleinere Sachen zu machen, wenn es keinen Shutdown gibt«, erklärt Aktivistin Sarah Walter. »Wir dürfen jetzt in der Ruhezeit nicht nachlassen.«
Um die Krise zu überstehen, fordern die Aktivist*innen die Schaffung solidarischer Netzwerke in den Kiezen – und finanzielle Hilfe für Bedürftige. »Es gibt genügend Lebensmittel, aber nur für Privilegierte«, ruft eine Rednerin. Die Leute verhungerten, wenn sie kein Geld bekämen. »Da muss etwas unternommen werden.«
Nach einer guten Dreiviertelstunde ist die Kundgebung aufgelöst. Die Aktivist*innen hängen die Transparente ab und sammeln die Pappaufsteller ein. Auf dem Gehweg haben sie mit Kreide einige Sätze hinterlassen. »Moratorium für Mieten!« steht dort in blauer Farbe, in grün prangt »Zu Hause bleiben ohne Zuhause« daneben. Am treffendsten auf den Punkt bringt es das Schild eines Mannes: »Gefährdet sein ist ungerecht verteilt.«
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