»Jugendliche brauchen Angebote in ihren Gemeinden«

Die Initiative Polylux will zivilgesellschaftliche Projekte in Ostdeutschland unterstützen - jüngst erhielt sie 100.000 Euro an Spenden

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Initiative Polylux hat kürzlich 100.000 Euro an Spenden erhalten. Viele wollten mit ihrer Unterstützung offenbar die AfD schwächen. Was war Ihre erste Reaktion?
Natürlich freuen wir uns einerseits über das Geld. Andererseits haben wir die Spenden zu einer Zeit erhalten, als in Hanau ein Rechtsterrorist neun Menschen ermordete. Das trübt die Stimmung. Wir haben aber zumindest jetzt die Möglichkeit, genau solche Projekte zu fördern, die die Zivilgesellschaft stärken. Wir wollen antifaschistische Arbeit, migrantische Selbstorganisation und unabhängige Jugendarbeit unterstützen.

Inwiefern ist das ein Schutz gegen rechte Angriffe?
Es ist wichtig, dass öffentliche Räume zur Verfügung stehen, in denen Themen neu besetzt werden können, in denen es auch ein Gegenprogramm zu einem rechten Mainstream gibt. Es braucht Orte, wo man sich über Antisemitismus, Sexismus und Rassismus austauschen kann, wo für alle Platz ist, wo Jugendliche ihre eigene Stimme erfahren können. Emanzipatorische Projekte werden in der Realität jedoch eher kriminalisiert als gefördert. Menschen vor Ort haben oftmals Angst, sich bei solchen Auseinandersetzungen zu positionieren und öffentliche Funktionsträger wie Lehrer halten sich zurück, weil sie nicht gegen eine politische »Neutralität« verstoßen wollen. Wir werden dem Versagen des Staates nicht länger zuschauen. Der Handlungsbedarf ist groß.

Zur Person
Fatma Kar ist Sprecherin der Initiative Polylux. Das Netzwerk unterstützt Projekte der kritischen Zivilgesellschaft in Ostdeutschland mit Fördermitgliedschaften.

Was genau wollen Sie fördern?
Wir unterstützen ganz unterschiedliche Projekte. Beispielsweise das »Schlossberg 1«, ein wichtiges soziokulturelles Zentrum im thüringischen Saalfeld. Kurz nach dem G20-Gipfel in Hamburg wurde das Projekt vom Amt geschlossen. Plötzlich ging es um dringende Baumaßnahmen. Wir wollen das Zentrum nun gemeinsam wieder aufbauen. Ebenfalls sehr wichtig ist das Alternative Kultur- und Bildungszentrum, kurz AkuBiZ, im sächsischen Pirna. Seit es aus Protest gegen die »Extremismusklausel« einen Demokratiepreis des Landes abgelehnt hatte, erhält es keine öffentlichen Gelder mehr. Das ist tragisch, da hier unter anderem essentielle historische Aufarbeitung und demokratische Bildungsarbeit geleistet wird.

Gibt es spezielle Angebote für migrantische Jugendliche im Osten?
Wir sind mit Menschen in Kontakt, die ein solches Kulturzentrum aufbauen wollen. Generell ist es wichtig, dass Migranten sich organisieren und einen Raum finden, wo sie sprechen können. Ich kenne das noch selbst aus meiner Kindheit. Meine Eltern waren oft in einem kurdischen Zentrum zu Besuch, hier konnten sie Erfahrungen austauschen und auch politische Forderungen stellen. Das war für sie sehr wichtig.

Die von Polylux geförderten Projekte liegen alle in Ostdeutschland. Warum dieser Fokus?
Weil in Ostdeutschland derzeit die AfD sowohl in den Kommunen als auch den Landtagen am stärksten ist. Sie kann großen Druck ausüben, um zivilgesellschaftlichen Projekten zu schaden und diese zu diffamieren. Das konnten wir beispielsweise beim »Treibhaus« im sächsischen Döbeln sehen. Hier versuchte die AfD, dem Projekt die Legitimation und damit auch die Gelder zu entziehen, indem sie auf die »Extremismusklausel« pochte. Zudem ist im Osten auch das Stadt-Land-Gefälle nochmal größer als im Westen, die öffentliche Infrastruktur ist im ländlichen Raum viel schlechter. Aber all das heißt nicht, dass Polylux für immer nur im Osten bleiben wird.

Was sind Ihre Bedingungen für eine Förderung?
Bedingungen stellen wir nicht, aber wir fördern zum Beispiel explizit keine studentischen Projekte, weil diese über die Universitäten bereits oft ganz gut an Finanztöpfe angebunden sind. Wir wollen kleine, lokale Initiativen unterstützen. Wir denken, dass die Menschen vor Ort am besten wissen, was sie brauchen. Wir wollen nicht als arrogante Großstädter vorgeben, wie es zu laufen hat. Es geht uns um eine unkomplizierte strukturelle Unterstützung und nicht um Bevormundung. Dafür versuchen wir, mit den Projekten auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Wollen Sie Menschen davon abhalten, die ländlichen Regionen zu verlassen?
Ich bin aus einer ostdeutschen Stadt weggezogen, unter anderem wegen des dort herrschenden Rassismus. Ich habe keine Lust, dass mein Kind die gleichen Erfahrungen machen muss wie ich. Wir haben natürlich nicht vor, irgendjemand davon abzuhalten, wegzuziehen. Das ist eine persönliche Entscheidung. Unser Projekt unterstützt aber eben die Menschen, die geblieben sind. Jugendliche brauchen Angebote in ihren Gemeinden, solange sie da sind. Diese wollen wir bereitstellen. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Menschen sich woanders verwirklichen wollen. Es ist aber eben auch unterstützenswert, wenn sie die Möglichkeit hätten, vor Ort zu bleiben, weil es da gar nicht mehr so schrecklich ist. Ihre Kämpfe in den Dörfern sind schließlich auch die unseren.

Hat der Staat die ländliche Infrastruktur zu wenig gestärkt?
Der Wegzug, vor allem von Frauen, begann bereits in den 1990er Jahren, die Folgen sind noch immer zu spüren. Die Infrastruktur hätte schon viel eher gestärkt werden müssen. Jetzt haben wir viele Orte, wo teilweise nur noch alte Menschen leben, Schulen sind geschlossen, es gibt kaum noch Jobs. Hier muss man ansetzen, dazu braucht es aber auch soziokulturelle Angebote wie Jugendzentren und Kinos, um die Menschen da zu halten. Bestimmte Regionen müssen letztlich wieder attraktiv gemacht werden, und hierbei ist linke Subkultur auch wichtig.

Legt Polylux trotz der Spende weiterhin seinen Fokus auf Fördermitgliedschaften?
Ja. Die eigentliche Idee von Polylux war ja, über Fördermitgliedschaften eine nachhaltige Finanzstruktur zu schaffen. Wir dachten, dass wir langsam in unsere Aufgabe hineinwachsen können. Gerade jetzt muss aber alles ziemlich schnell gehen. Wir müssen uns rechtlich beraten lassen und uns auch absichern. Wir tragen hier eine große Verantwortung. An der ursprünglichen Finanzierungsidee soll sich aber auch trotz der Spende nichts ändern.

Wie ist das Projekt entstanden?
Wir hatten uns als kleine Gruppe im Sommer 2018 zusammengefunden. Mittlerweile sind wir acht Personen, dazu unterstützen uns bei bestimmten Fragen noch Menschen aus der soziokulturellen Jugend- und Beratungsarbeit. Fast alle haben eine Ostgeschichte und sind irgendwann in die größeren Städte weggezogen. Uns wurde aber zuletzt immer klarer, dass wir uns nicht länger von unserer eigenen Geschichte abkapseln können.

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