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Gegen Tränengas, Hoffnungslosigkeit und Corona

Noch immer harren tausende Menschen an der griechisch-türkischen Grenze aus. Wie es mit ihnen weiter geht, ist ungewiss. Auch wegen Corona.

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Quadratmeter Pappkarton, eine rote Filzdecke und eine grüne Zeltplane. Das ist seit vier Wochen das Zuhause von Sirwan. Anfang März kam der 32-jährige Iraker an die griechisch-türkische Grenze. Über drei Wochen später ist er immer noch da. Statt auf die vom türkischen Präsidenten Erdoğan versprochenen offenen Grenzen nach Europa stieß er auf griechisches Tränengas und Gummigeschosse.

Wie Sirwan harren derzeit noch Tausende Menschen unter katastrophalen Bedingungen am Grenzübergang Kastanies/Pazarkule aus. Wie es mit ihnen weiter geht, ist völlig ungewiss: Nachdem die Türkei am 29. Februar überraschend ankündigte, ihre Grenzen zu öffnen und Zehntausende Flüchtlinge in Richtung EU aufbrachen, folgte vergangenen Donnerstag die ebenso überraschende Schließung der Grenze. Auf türkischen Druck haben Tausende Menschen seitdem das Camp verlassen. Wie viele Menschen noch an der Grenze ausharren, ist unklar: Schätzungen reichen von 2000 bis 5000.

Offiziell begründet hat die Türkei den Schritt mit der Eindämmung der Corona-Epidemie. Wahrscheinlicher dürfte aber auch ein Treffen am 17. März eine Rolle spielen. Per Video-Konferenz hatten sich Bundeskanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Macron und der britische Premier Johnson mit Erdoğan getroffen und der Türkei im Gegenzug für die Schließung der Grenze weitere EU-Hilfen in Aussicht gestellt.

Am Tag darauf war es im Grenzgebiet erneut zu massiver Gewalt gekommen sein. Videos zeigen, wie Tränengasgranaten zwischen Menschen und Zelten einschlagen. Schüsse sind zu hören. Mehrere Bewohner des Camps berichten übereinstimmend von einer Art Aushungerungstaktik türkischer Behörden: Um die Flüchtlinge zur Umkehr zu zwingen, sollen Essensverteilungen im Lager eingestellt worden sein. Gleichzeitig würden Flüchtlinge davon abgehalten, sich in umliegenden Dörfern mit Nahrung zu versorgen. Einige Flüchtlinge hätten daraufhin versucht, den Grenzzaun niederzureißen.

»Wer auch immer herausgeht, er kommt nicht mehr zurück«, schildert Sirwan die türkische Politik, Flüchtlinge nur noch dann das Camp verlassen zu lassen, wenn sie anschließend die Region in Richtung Istanbul verlassen. »Die Polizei hat uns erklärt, dass wir zurück in die Türkei sollen. Aber wir haben dort weder eine Wohnung noch Arbeit. Wir haben alles aufgeben«, sagt der irakische Kurde, der nach eigenen Angaben als Peshmerga in Erbil gegen den IS kämpfte, bevor er in Richtung Türkei fliehen musste.

Dass Sirwan und viele andere Menschen die Ungewissheit und die katastrophale humanitäre Situation im Grenzgebiet einem Leben in der Türkei vorziehen, dürfte auch an der Perspektivlosigkeit liegen, die sie in der Türkei erwartet: Um die Kosten für eine Reise in die EU aufzubringen, hatten viele Menschen in ihren gesamten Besitz verkauft. Auch wegen der weltweiten Corona-Krise dürften ihre Chancen, es derzeit über die Grenze zu schaffen, allerdings gegen null tendieren.

Sowohl die EU-Kommission und die Bundesregierung als auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hatten in den vergangenen Tagen angekündigt, keine Flüchtlinge aufzunehmen bzw. Umsiedlungsprogramme für Flüchtlinge auszusetzen. Dabei brauchte es vor allem jetzt ein entschlossenes Handeln, um ein Ausbreiten von Corona in den überfüllten Lagern zu verhindern, argumentieren hingegen rund 30 Hilfsorganisationen, die in einem gemeinsamen Appell auf die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern der Region aufmerksam machen. »Um den vollständigen Zusammenbruch und die massenhafte Ansteckung mit Covid-19 zu verhindern, ist ein groß angelegtes Evakuierungsprogramm in andere EU-Mitgliedsstaaten unumgänglich«, fordert die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl.

Zumindest das Versprechen, 1600 minderjährige Flüchtlinge aus griechischen Lagern aufzunehmen, soll auch in der Corona-Krise eingehalten werden. Dies versicherte Bundesinnenminister Horst Seehofer gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«, verwies allerdings an die Zuständigkeit der EU-Kommission. Sirwan und Zehntausende andere Flüchtlinge wird die allerdings nichts nützen. Er will deshalb weiter am Grenzübergang Pazarkule ausharren: »Ich werde ganz sicher der Letzte sein, der von hier geht.«

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