Rausschmiss geht weiter

In vielen Bundesländern werden Abschiebungen bestenfalls kurzzeitig verschoben

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

»Deutsche Staatsangehörige, die in Tunesien gestrandet sind und zurückreisen möchten, sollten sich umgehend unter www.rueckholprogamm.de registrieren«, heißt es auf der Homepage der deutschen Botschaft in Tunis. Die Rückholaktion für deutsche Tourist*innen aus aller Welt sorgte in den letzten Tagen für viel mediale Aufmerksamkeit. Kaum zur Sprache kommt, welche Folgen die Stornierung fast aller Flüge für Abschiebehäftlinge in Deutschland hat.

Sie sind nicht inhaftiert, weil sie eine Straftat begangen haben. Ihre Festsetzung dient nur dem Zweck der Ausreise. Höchstrichterliche Urteile stellen klar, dass die Abschiebehaft nicht unbegrenzt ausgeweitet werden darf.

Deshalb fordern beispielsweise in Hessen antirassistische Organisationen und die Linke neben der Aussetzung aller Ausweisungen die sofortige Freilassung aller Abschiebehäftlinge und die Schließung der Abschiebehaftanstalt Darmstadt-Eberstadt. »Wir sind generell gegen Abschiebegefängnisse«, sagte die migrationspolitische Sprecherin der hessischen Linksfraktion Saadet Sönmez dem »nd«. Da der Flugbetrieb derzeit eingeschränkt sei, sei es nicht zu rechtfertigen, dass noch Menschen in Abschiebehaft gehalten werden.

Die Grünen, die in Hessen gemeinsam mit der CDU regieren, haben nach Ansicht von Dorothea Heinze alle ihre ursprünglichen Forderungen über Bord geworfen. Früher hatten sie das gleiche verlangt wie die Linke, der Heinze angehört. Das habe sich geändert, seit sie mit der CDU regieren. Heinze engagiert sich in der antirassistischen Initiative »Community for All« und beklagt: »Viele Geflüchtete leben weiter mit der Angst und der Unklarheit.« Befragungen in den Asyl- und Widerrufsverfahren seien »teilweise ausgesetzt«.

In der vergangenen Woche gab es in der Darmstädter Anstalt Proteste gegen die Fortdauer der Abschiebehaft. Einige Gefangene verweigerten nach dem Hofgang die Rückkehr in ihre Zellen. Ein tunesischer Insasse bat in einer Petition um die Aussetzung seiner Abschiebung. In der Haftanstalt befindet sich seit Anfang Februar auch ein US-Bürger, der seit 30 Jahren in Fulda lebte. Momentan kann er nicht abgeschoben werden, weil die Begleitpolizist*innen wegen der Coronakrise mindestens bis zum 4. April keine Einreisegenehmigung in die USA bekommen. Trotzdem wird er Mann nicht aus der Abschiebehaft entlassen.

Wie in Hessen wird auch in anderen Bundesländern offenbar versucht, die Abschiebungen nur so kurz wie möglich auszusetzen. Das ergab eine nd-Anfrage bei den zuständigen Behörden. »Wenn es die Lage zulässt, ist es unser klares Ziel, auch in nächster Zeit zumindest Straftäter abzuschieben«, antwortete etwa der stellvertretende Pressesprecher des bayerischen Innenministeriums, Martin Scholtysik.

Patrick Kübler von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des niedersächsischen Innenministeriums erklärte: »Der Rückführungsvollzug in Niedersachsen wird im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten weiterhin durchgeführt.« Allerdings gibt es in dem Bundesland aktuell keine Abschiebehäftlinge, nachdem in der vergangenen Woche die letzten sechs wegen der Coronakrise entlassen wurden.

Kübler stellte gegenüber »nd« allerdings klar, dass damit kein grundsätzliches Überdenken der Abschiebungen und der Inhaftierungen verbunden ist. Die »Möglichkeiten des Rückführungsvollzugs« seien zwar aktuell »sehr eingeschränkt«. Es gebe aber keine gesetzliche Grundlage, generell darauf zu verzichten. Zudem werde Niedersachsen »unter Berücksichtigung der tagesaktuellen Entwicklungen« weiter »Rückführungen vollziehen«, betonte Kübler.

Auch in Sachsen wurden Abschiebungen aufgeschoben. Das bestätigte der stellvertretende Sprecher des Dresdner Innenministeriums, Gunter Gerick. Er stellte gegenüber »nd« allerdings auch klar, dass Rückführungen grundsätzlich möglich sind und die Lage ständig beobachtet werde.

Aus Thüringen werden in der Coronakrise keine Abschiebungen erfolgen, versicherte der Pressesprecher des Erfurter Innenministeriums, Oliver Will. Im Freistaat gibt es zudem bisher keine Abschiebegefängnisse.

Im schwarz-grün regierten Baden-Württemberg sei eine generelle Aussetzung von Abschiebungen in der Coronakrise nicht geplant, erklärt Carsten Dehner vom Landesinnenministerium. Er betonte gegenüber »nd« zugleich, die Abschiebehaft sei »für uns ein wichtiges Instrument, um Ausländer abschieben zu können, die ihrer Pflicht zur Ausreise nicht von selbst nachkommen.« Die Verwaltung brauche »taugliche Werkzeuge«, um Ausreisepflichtige »effektiver und konsequenter in ihr Heimatland zurückführen zu können«, so Dehner.

In der Abschiebehaftanstalt Pforzheim sind nach Angaben von Dehner besondere Maßnahmen ergriffen worden, um Ansteckungsgefahren für »Untergebrachte« und Bedienstete zu vermeiden. Personen, die dort »eingeliefert« würden, würden »neben der üblichen Eingangsuntersuchung einem Coronatest unterzogen. Bis zur Vorlage des Ergebnisses werden sie räumlich von anderen Untergebrachten getrennt, um eine etwaige Ansteckung zu verhindern.« Auch der Besucherverkehr sei eingeschränkt worden.

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