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Virtuelle Parteitagsvorbereitung
Am Samstag soll der Linke-Vorstand über einen Leitantragsentwurf diskutieren
Unmittelbar nach der Kasseler Strategiekonferenz vor vier Wochen schien in der Linken Aufbruchstimmung zu herrschen. Teilnehmende kehrten voller Optimismus in ihre Heimatorte zurück. Manche und mancher äußerte sich in Onlinemedien geradezu euphorisch. Fühlte sich beflügelt von fruchtbarem Austausch und solidarischem Streit über das Mitregieren im Bund, über Wege zum sozial-ökologischen Gesellschaftsumbau und die Art der Beteiligung an sozialen Kämpfen.
Es folgte das böse Erwachen: Springer-Presse und rechte Medien verbreiteten Ausschnitte aus einer abendlichen Debatte, in der eine Genossin jene unglückseligen Sätze vom Erschießen der Reichen sprach und Parteichef Bernd Riexinger beschwichtigend-scherzhaft sagte, man werde »sie nicht erschießen, sondern einer nützlichen Arbeit zuführen«. Darüber echauffierten sich nicht nur die üblichen Verdächtigen aus den anderen Parteien, sondern auch viele Genossinnen und Genossen. Riexinger wurde indirekt zum Rücktritt aufgefordert.
Der Vorsitzende hat sich zwar schnell für seine Wortwahl an jenem 29. Februar entschuldigt. Ob er sich erneut um das Amt bewerben wird, hat er jedoch bislang ebenso offen gelassen wie die Kovorsitzende Katja Kipping. Dabei hatten beide bereits im vergangenen Herbst angekündigt, sie würden sich direkt nach der Konferenz in Kassel zum Thema äußern.
Das Linke-Statut sieht eigentlich einen Wechsel an der Spitze nach acht Jahren vor, wobei Ausnahmen möglich sind. So lange leitet das amtierende Duo mittlerweile die Geschicke der Partei. Dennoch ist knapp drei Monate vor der geplanten Neuwahl der Parteispitze völlig unklar, wer sich um den Vorsitz bewerben wird. Sicher ist nur, dass dieser wieder mit einer Frau und einem Mann besetzt sein wird.
Stattdessen soll der erweiterte Bundesvorstand am Samstag einen Entwurf für einen Leitantrag an den Parteitag in Erfurt diskutieren, den der geschäftsführende Vorstand formuliert hat. In dem sehr allgemein gehaltenen Papier, das »nd« vorliegt, wird zwar vor allem in der Einleitung auf die Corona-Pandemie eingegangen, deretwegen »Zeitdiagnosen« schwierig seien. Dass in den Sternen steht, wie das Land nach dem aktuellen Ausnahmezustand aussieht - und ob der Parteitag überhaupt stattfinden kann - wird nicht erwähnt.
Es folgt lediglich eine Auflistung von überwiegend lange bekannten Forderungen. Auch Formeln wie die vom »LINKEN Green New Deal« tauchen in der Vorlage auf. Insgesamt liest sich diese wie ein Kompromisspapier, mit dem den insbesondere in der Regierungsfrage divergierenden Auffassungen in der Partei Rechnung getragen werden soll. So ist weder von einem Mitte-links-Bündnis noch von »Rot-rot-grün« die Rede. Statt dessen von einer »Koalition für eine grundsätzlich andere Politik, für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel«, die »nicht nur aus Parteien« bestehe.
Streitthemen wie Nato-Mitgliedschaft, Haltung zur EU und Flüchtlingspolitik werden nur gestreift. Zur EU-Politik heißt es lediglich: »Wir stellen uns der Militarisierung Europas entgegen.« Außerdem wird betont, die Linke kämpfe »gegen Fluchtursachen und für eine humane Flüchtlingspolitik mit sicheren Fluchtwegen« sowie für ein »europäisches Aufnahmeprogramm«. Sie stehe »für Abrüstung und Friedens- und Entspannungspolitik«, gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und Manöver wie »Defender2020«.
Vor allem geht es im Entwurf jedoch um den »demokratischen Sozialstaat der Zukunft« als »Bollwerk gegen rechts« mit Elementen wie der »sanktionsfreien Mindestsicherung« und Beschäftigungs- und Einkommensgarantien für Werktätige in vom sozial-ökologischen Umbau besonders betroffenen Branchen.
Im Vorstand scheint nicht jeder gewillt, sich mit dem Dokument zu befassen. Dem Vernehmen nach gibt es Anträge auf Nichtbefassung. Ein Mitglied des Gremiums nannte es gegenüber »nd« gar »Schwachsinn«, in der gegenwärtigen Situation darüber zu diskutieren - einerseits, weil sich das politische Koordinatensystem derzeit täglich verschiebe, andererseits, weil ungewiss sei, ob der Parteitag stattfinden kann.
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