Die Krise gegen Airbnb nutzen

Corona ist die Chance, neoliberale Entwicklungen zu korrigieren, glaubt Katalin Gennburg

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Beim Zimmervermittler AirBnB brechen die Umsätze ein. Laut »Handelsblatt« soll sich der Umsatz Mitte März im Vergleich zu Mitte Februar auf 16 Millionen Euro halbiert haben. Erledigt sich damit das Problem der Zweckentfremdung von Wohnraum durch die Coronakrise von selbst?
Kurzfristig vielleicht. Aber nach dem Ende der Krise könnte die Plattform wieder blühen. Es wird für die kein Problem sein, wieder an frisches Kapital zu kommen. Man darf nicht vergessen, dass die Techgiganten aus dem Silicon Valley Profiteure der Finanzkrise von 2009 waren. Erst dann sind die so richtig groß geworden. Die Spielbedingungen müssen sich ändern. Ein Anfang wäre die unter anderem von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mitverhinderte Digitalsteuer gewesen.
Katalin Gennburg
Die studierte Stadt- und Raumplanerin Katalin Gennburg ist Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus und Smart City der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit vielen Jahren beschäftigt sich die 36-Jährige mit Fragen der sozialen Wohnraumversorgung.

Für Dublin meldet das irische Immobilienportal daft.ie infolge des Tourismuseinbruchs, dass im Zentrum das Angebot von Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen für die längerfristige Vermietung um fast zwei Drittel gestiegen ist. So klein ist der Einfluss von Airbnb auf den Wohnungsmarkt also nicht, wie der Konzern darlegt?
Nein, die Zahlen aus Dublin laufen der Erzählung zuwider. Ich sehe die Entwicklung mit Freude, in Berlin würden Tausende Wohnungen wieder dem Mietmarkt zur Verfügung stehen. Wenn die Reisebestimmungen in zwei, drei Monaten wieder lockerer sind, kann das aber wieder zu einer regelrechten Explosion des Airbnb-Angebots führen. Dort finden sich sehr unterschiedliche Angebote: vom Kleinanleger mit Zweitwohnung, über das WG-Zimmer, bis zum reinen Ferienwohnungsvermittler. Airbnb verwertet vor allem die Daten der Nutzer*innen des Portals und macht so aus unseren Städten touristische Hotspots und Datenlandschaften für die kommerzielle Weiterverwertung im Internet. Weil es eine sehr schlanke Plattform mit wenigen eigenen Beschäftigten ist, muss sie einfach nur abwarten, bis sich die Zeiten wieder bessern. Für das Gemeinwohl ist deren Geschäftsmodell nicht zuträglich.
Das tut Airbnb aber nicht, in den USA fordert der Konzern von der Regierung finanzielle Unterstützung für die Vermieter, in Europa lobbyiert er intensiv bei der EU-Kommission. Was ist die Gefahr der geplanten neuen E-Commerce-Richtlinie?
Es könnte noch einfacher werden, unsere täglichen Güter zu verwerten. Die CDU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält Plattformen für »Motoren des wirtschaftlichen Fortschritts«. Im Frühsommer hätte eigentlich der Entwurf der neuen E-Commerce-Richtlinie vorgestellt werden sollen. Die Rolle der Plattformanbieter soll noch gestärkt werden. Städte und Bundesländer könnte die Möglichkeit genommen werden, selber zu entscheiden, den Wohnraum vor der kommerziellen Kurzzeitvermietung zu schützen, weil das eine Behinderung der Dienstleistungsfreiheit wäre. Sie können sich schon jetzt als Standort das Land mit den für sie günstigsten Vorschriften aussuchen. Und schon jetzt hebeln Urteile des Europäischen Gerichtshofs lokale Wohnraumschutzgesetze aus.
Wie kann die Novelle in dieser Form verhindert werden?
Wir müssen uns gemeinsam mit anderen Linksregierungen aus Wien, Barcelona und Amsterdam zusammentun, mit sozialen Bewegungen und den Verfechtern der öffentlichen Daseinsvorsorge fit machen gegen diesen Digital Services Act. Auch der Deutsche Städtetag hat Interesse signalisiert, dass Airbnb und Anbieter wie Uber sich nicht weiter an unserer öffentlichen Infrastruktur bereichern und dass vor allem das Recht auf Wohnen gestärkt gehört und Wohnraumvermietung nicht weiter liberalisiert werden darf. Es gibt einen Zusammenschluss von »Sharing Cities« in Europa, hier werden solidarische Alternativen zur Verwertung öffentlicher Güter durch digitale Plattformen ausgetauscht und gestärkt. Berlin muss hier Mitglied werden!
Es gibt Forderungen, Airbnb zu enteignen. Was ist darunter zu verstehen?
Es geht um aktive Wohnraumrückgewinnung, also die an die kommerzielle Kurzzeitvermietung verloren gegangenen Räume wieder ihrem Zweck zuzuführen. Jetzt in der Krise müssen die Leute eingestellt werden, die gebraucht werden, um die soziale Wohnraumversorgungspolitik in den Kommunen hart durchzusetzen. Die Größe von Airbnb ist schließlich auch ein Ergebnis des neoliberalen Staatsabbaus. Darüber hinaus geht es darum, dass Airbnb sich nicht in die Daten gucken lässt und illegale Angebote duldet und auch nicht zu mehr Steuerehrlichkeit beiträgt. Die Plattform könnte beispielsweise selber sicherstellen, dass Übernachtungssteuern entsprechend abgeführt werden, stattdessen appellieren sie an die Nutzer*innen. Airbnb zu enteignen hieße vor allem die Datenpolitik des Konzerns offenzulegen und sie unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Alle, die Airbnb nutzen, sollten sich ihrer eigenen Daten bewusst sein!
Ist die Krise die Chance, umzusteuern?
Die Offenheit der momentanen Krise wird auch von mir als Chance gesehen. Ein wenig passiert das Umsteuern ja schon. Es gründen sich Selbsthilfeplattformen als genossenschaftliche Modelle und Kooperativen, um die Versorgung der Nachbarschaft zu sichern. Es ist jetzt absolut richtig, jetzt wo alle über systemrelevante Arbeit sprechen, über Vergesellschaftung und nachhaltiges Wirtschaften zu sprechen. Jetzt müssen wir über die Sozialisierung der Kosten der Krise sprechen und darüber, dass Lohnabhängige ohne Lohn auch keine Miete werden zahlen können. In Berlin unterstützen wir die Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer*innen mit Soforthilfen. Um Umzusteuern müssen jetzt auch im Bund die Weichen so gestellt werden, damit Einnahmeausfälle zu Lasten der Vermögenden umverteilt werden. Jetzt erst recht ist eine Umverteilungsdebatte nötig. Ein Beispiel sind Krisengewinner wie Airbnb, die über eine Digitalsteuer – und deren Geldgeber über eine Reichensteuer – gezwungen werden könnten, sich an den Kosten des Gemeinwesens zu beteiligen.
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