Voreiliger Optimismus

Die derzeitige Stille um die AfD ist erfreulich, doch ist sie auch trügerisch: Viele rechte Forderungen werden derzeit im Eiltempo umgesetzt.

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 6 Min.

Corona wirkt!« - so freuten sich einige, als die ersten Umfragen in Zeiten des Virus erschienen. Die AfD ist unter zehn Prozent gerutscht, hat im Vergleich zu Mitte Februar fünf Prozentpunkte eingebüßt und ist nun weit entfernt von den Umfragen von 2016/17, als sie im höheren zweistelligen Bereich lag und damit nicht nur ihre Stammwählerschaft, sondern auch das je nach Konjunktur aktivierbare rechte Wählerpotenzial fast ausgeschöpft hatte. Neben Querelen um die Beobachtung des »Flügels« durch den Verfassungsschutz ist zweifellos auch die Desorientiertheit beim Kampf gegen Corona ein Grund für die schlechten Werte. Damit scheint für viele bestätigt: Die Rechten haben zur Bewältigung der jetzigen Situation nichts beizutragen, sie können keine Probleme lösen, »kein Mensch braucht sie«.

Und tatsächlich: Die AfD fällt dieser Tage, wenn überhaupt, als plan- und verantwortungslos auf. Die Krisenbewältigung der Bundesregierung erinnere an den Herbst 2015, versuchte es etwas verzweifelt Beatrix von Storch. AfD-Mann Stephan Brandner sagte der ARD in die Kamera zum Thema Corona: »Die einen sagen so, die anderen sagen so.« Armin-Paul Hampel sprach von einer »leichten Grippe«. Und der sächsische Landtag musste nur wegen der AfD-Fraktion zu einer physischen Sitzung zusammenkommen, als längst Kontaktreduzierung angesagt war. Wo sonst rechte Einigkeit herrscht, ist nun Zerstreuung: Ein Teil des rechtsaffinen Milieus glaubt gar nicht an Corona, ein anderer ist in Weltuntergangsstimmung und prangert die angebliche Untätigkeit der Regierung an, ein weiterer hat sich in diverse Verschwörungstheorien verstrickt; und dann sind da noch die rechten Libertären, die das ursprünglich von der britischen Regierung präferierte Modell der »Herdenimmunität« anstreben.

Aber vor allem: Die AfD fällt im Moment generell wenig auf. Dies liegt weniger daran, dass ihre Politiker schweigen würden. Vielmehr interessieren sich die Medien viel weniger als sonst für das Treiben der Rechten, nicht jede Äußerung aus deren Reihen wird mit einem Kommentar bedacht, und statt AfD-Politikern sitzen nun Virologen und Ärzte in den Talkshows. Ein wichtiger, wenn auch keineswegs neuer Hinweis auf das komplizenhafte Verhältnis zwischen medialer Öffentlichkeit und dem Erfolg der AfD.

Doch wer glaubt, die Rechten hätten sich nun als »nicht hilfreich« entzaubert und seien damit Geschichte, der übersieht etwas Wesentliches: Probleme lösen Rechte auch sonst nicht, »gute« Konzepte hatten sie auch vor Corona nicht. Ihr Angebot ist vielmehr stets das gleiche, nämlich das der Spaltung und des Tretens nach unten. Dafür und nicht trotz dessen werden sie gewählt, das haben Studien vielfach belegt. Je drängender das Problem, desto offensichtlicher die Untauglichkeit der Rechten? Das mag kurzfristig gelten, doch mittelfristig könnte sich zeigen, dass es so einfach nicht ist.

Im Moment kommt das, was die AfD im Kern ausmacht, vielleicht etwas weniger an als sonst, weil die Verunsicherung groß ist, viele sich an das dieser Tage oft beschworene »wir« klammern und die Menschen sich eher der Regierung zuwenden, also denjenigen, die handeln. Ideologischer Krisenkorporatismus ist immer schlecht für Oppositionsparteien, egal ob links, grün oder rechts. Entsprechend profitiert derzeit vor allem die Union in Umfragen und steigt in der Wählergunst. Allerdings dämpfte schon eine Wählerumfrage aus Sachsen-Anhalt die Feierlaune über einen vermeintlichen Niedergang der AfD: Bei 25 Prozent steht die Partei dort, gleichauf mit der CDU. Nächstes Jahr wird in dem ostdeutschen Bundesland gewählt.

Und jenseits von Umfragen gilt: Das rassistische und spaltende Angebot der AfD könnte mittelfristig auf in einem ganz neuen Ausmaß zerrüttete Gesellschaften treffen. Die ökonomischen Szenarien werden immer düsterer: Die Corona-Krise könnte bis zu 25 Millionen Jobs kosten, erklärte vor wenigen Tagen die International Arbeitsorganisation (ILO). Zum Vergleich: Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 stieg die Zahl der Arbeitslosen weltweit um etwa 22 Millionen.

Rechte Träume werden wahr

Hinzu kommt: Gerade in Europa, aber nicht nur dort, erleben wir derzeit die Erfüllung wesentlicher rechter Forderungen, und das in einem atemberaubenden Tempo. Der Rückgriff auf autoritäre staatliche Kontroll- und Durchsetzungsinstrumente und den Diskurs der »Inneren Sicherheit« dürfte Rechte erfreuen und könnte ihnen mittelfristig nützen. Ebenso die kollektive europäische Ignoranz bezüglich der Geflüchteten in den griechischen EU-Lagern. Die dort zusammengepferchten Menschen sind - anders kann man es nicht sagen - sich selbst und dem Virus überlassen worden. Noch bevor sich Sars-Cov2 in Europa ausbreitete, wurde das Asylrecht von der griechischen Regierung ausgehebelt. Mitte März setzte die Bundesrepublik »wegen Corona« die humanitäre Flüchtlingsaufnahme »bis auf Weiteres« aus.

Grenzen wurden auch innerhalb der Europäischen Union geschlossen, ohne Absprache. Damit ist das Schengen-System in kürzester Zeit außer Kraft gesetzt worden, und es scheint fraglich, ob dies wieder vollständig zurückgedreht werden wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls scheint Zweifel daran zu haben. Auf Nachfrage, ob es eine Rückkehr zu Schengen geben werde, sagte sie bei einer Pressekonferenz Mitte März, sie »hoffe« es - und klang dabei nicht überzeugt. Inwiefern die Schließung von Grenzen überhaupt sinnvoll sein kann bei einem Virus, das sich um Grenzen nicht schert, bleibt in der europäischen wie auch deutschen Öffentlichkeit weitgehend unhinterfragt.

Überdies präsentiert sich die EU zerstritten und in der Krise auf die Nationalstaaten zurückgeworfen: Spät und erst auf Initiative von Landespolitikern begann etwa Deutschland damit, wenige schwer erkrankte Patienten aus Frankreich oder Italien für eine Behandlung einzufliegen. Spät, später als China, schickte Frankreich eine Million Atemschutzmasken nach Italien. Zuvor gab es vermehrt Berichte darüber, dass sich die EU-Staaten gegenseitig die Ausrüstung wegklauen. Heftiger Streit droht beim Thema Corona-Bonds, die beispielsweise Italien oder Frankreich fordern, Deutschland aber strikt ablehnt als »Vergemeinschaftung von Schulden«.

Ein möglicher Kitt könnte schließlich doch noch die gemeinsame Beschaffung von dringend benötigten Atemschutzmasken oder Schutzkleidung auf dem Weltmarkt sein - wiederum auf Kosten anderer. Bleiben wird aber vor allem im Süden des Kontinents die bittere Erkenntnis, dass es die Spardiktate in Zeiten der Eurokrise waren, die Kürzungen und Privatisierungen, die den Kollaps der Gesundheitssysteme und Tausende Corona-Tote zur Folge hatten.

Gut vorstellbar, dass sich vor diesem Hintergrund die europäischen Rechtsparteien am Ende des Tages als Profiteure der Corona-Krise erweisen werden. Aus den Reihen der AfD ist schon die erneuerte rechte EU-Kritik zu vernehmen. »Wir sehen, dass die EU in toto ziemlich machtlos ist. Es ist eigentlich die Stunde der Nationalstaaten«, gab Jörg Meuthen der rechten »Jungen Freiheit« zu Protokoll. Ganz ähnlich handhabt es der US-Präsident: »Thats why we need borders« (Deshalb brauchen wir Grenzen) twitterte Donald Trump Mitte der Woche - in Großbuchstaben.

Wer nutzt die Gunst der Stunde?

Nun gilt allerdings auch für Linke, dass plötzlich Dinge geschehen, die sie schon lange fordern: Spanien verstaatlicht Krankenhäuser, Schuldenbremsen werden ebenso außer Kraft gesetzt wie die unsozialen EU-Haushaltskriterien, von wichtigen und unwichtigen Berufen ist die Rede, von der Anerkennung von Krankenschwestern und Erzieherinnen und der Aufwertung ihrer bisher unterbezahlten Tätigkeiten, von Zusammenhalt und Solidarität mit Schwächeren.

Die Frage ist also vor allem, wer die Gunst der Stunde zu nutzen weiß, wenn die vorübergehende Zuwendung zu den regierenden Parteien in Unmut umschlägt. Wessen Krisendeutungen, Forderungen und Vorschläge werden sich durchsetzen? Die der Rechten, die sich in ihrer Erzählung einer gescheiterten Globalisierung bestätigt sehen und als »Medizin« abgeschottete Nationalstaaten, Rassismus, Spaltung und das Opfern der Schutzlosen offerieren? Oder die linke Erklärung, dass Kapitalismus und Ungleichheit das Virus und vor allem dessen verheerende Kraft hervorgebracht haben? Nur wenn es gelingt, diese Deutung und das Rezept der Solidarität zu popularisieren, wird die AfD nicht erneut erstarken.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -