- Berlin
- Geflüchtete
Kirchenasyl als Virenschutz
Auch ohne akut drohende Abschiebung finden Geflüchtete weiter in Berliner und Brandenburger Gotteshäusern Zuflucht
Kirchenasyl soll Menschen vor Abschiebungen schützen. Nun werden angesichts der aktuellen Pandemie Geflüchtete nur noch in Einzelfällen abgeschoben. Doch ist damit das Kirchenasyl überflüssig geworden?
»So einfach, wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Lage nicht«, sagt Bernhard Fricke von der Arbeitsgemeinschaft »Asyl in der Kirche« dem »nd«. »Wir empfehlen den Kirchengemeinden, die Kirchenasyle erst einmal weiterzuführen. Vor kurzem haben wir sogar eine Person neu in das Kirchenasyl aufgenommen.« Die Geflüchteten seien in den Kirchengemeinden, wo oft eine Familie eine eigene Wohnung für sich habe, schlichtweg besser aufgehoben als in einer Gemeinschaftsunterkunft, wo sich viele Menschen Küchen und Sanitärräume teilen müssen.
In Berlin gibt es derzeit 29 Kirchenasyle für 61 Personen, in Brandenburg sind es 21 Asyle für 31 von Abschiebung bedrohte Menschen. Die befristete Aufnahme von Geflüchteten in einer Kirchengemeinde gibt den Behörden Zeit, Abschiebeverfügungen noch einmal zu prüfen, oder aber sie verhindert, dass oft Schwerkranke im Rahmen des Dublin-Abkommens in andere europäische Staaten geschickt werden. Denn Geflüchtete müssen ihr Asylverfahren in dem europäischen Staat durchlaufen, den sie zuerst betreten haben.
Dublin-Rückführungen in andere europäische Staaten finden zurzeit zwar nicht statt, um eine weitere Verbreitung des Coronavirus nicht zu begünstigen. 43 der 50 Kirchenasyle in Berlin und Brandenburg sind sogenannte Dublinfälle und brauchen damit im Moment keine Rückführung nach Italien, Bulgarien oder Ungarn zu befürchten. Auch Abschiebungen in die Herkunftsländer finden nur in Einzelfällen statt, da viele Länder die Einreise von Menschen aus Deutschland derzeit generell ablehnen. Dessen ungeachtet hat das Kirchenasyl nicht an Relevanz eingebüßt – und dies eben nicht zuletzt auch aus Gründen des Gesundheitsschutzes.
Frickes Kollegin Cecilia Juretzka bestätigt: »Viele der Flüchtlinge im Kirchenasyl sind krank. Da ist ihr Schutz besonders wichtig.« Hinzu kämen bei einer Unterbrechung praktische Probleme: Die Behörden, die sie wieder in das normale Asylsystem zurückführen müssten, seien coronabedingt nur schwer erreichbar.
Die Geflüchteten im Kirchenasyl zu belassen, kostet die Kirchengemeinden gleichwohl viel Geld. Denn während der Zeit im Kirchenasyl bekommen Geflüchtete keine staatlichen Leistungen. Die Gemeinden müssen also für ihren Lebensunterhalt sorgen und im Krankheitsfall auch für Behandlungen aufkommen, denn wer im Kirchenasyl ist, hat keine Krankenversicherung. Oft helfen in diesem Fall konfessionelle Krankenhäuser, die die Behandlungskosten nicht in Rechnung stellen. Sollte es viele Coronafälle geben, kann das also teuer werden. »Diese Kosten sind aber eingeplant«, sagt Juretzka.
Völlig unklar ist momentan, wie es mit den Dublin-Fällen nach dem Ende der Coronakrise weitergeht. Behörden in Deutschland haben nur sechs Monate Zeit, jemanden in einen anderen EU-Staat zurückzuschicken. Ist diese Zeit verstrichen, haben die Geflüchteten ein Recht darauf, dass ihr Asylverfahren in Deutschland durchlaufen wird. Das Kirchenasyl kann dann beendet werden. Genau das könnte aber in Coronazeiten nicht klappen. Denn das Bundesinnenministerium will die Sechsmonatsfrist um die Dauer der Coronakrise einfach verlängern und die Menschen dann später in andere EU-Staaten schicken. Ob das Vorhaben einer rechtlichen Überprüfung standhält und ob das andere EU-Staaten akzeptieren, ist allerdings völlig offen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.