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Deutsche Sturheit und das Ende der EU
Durch die Herausgabe gemeinsamer europäischer Staatsanleihen soll Geld eingenommen werden / Deutschland lehnt dieses Vorgehen ab
Angesichts der Corona-Krise und der absehbaren wirtschaftlichen Folgen wurde durch eine Reihe europäischer Staaten, darunter die derzeit am schwersten betroffenen Länder, erneut der Vorschlag unterbreitet, Euro-Bonds aufzulegen. Dieses Mal wurden sie freilich als »Corona-Bonds« bezeichnet, doch der Gedanke und die beabsichtigte Wirkung sind die gleichen. Durch die Herausgabe gemeinsamer europäischer Staatsanleihen soll Geld eingenommen werden, das dann den in die Krise geratenen Staaten helfen soll, ihre Wirtschaft zu stabilisieren oder wiederaufzubauen.
Und anders als bei nationalen Staatsanleihen ist dies günstig und verschlechtert auch nicht das Kapitalmarktrating der einzelnen Staaten. Bereits in der Banken- bzw. Eurokrise wäre dies ein sehr gutes Mittel gewesen. In der Corona-Krise müsste dieser Vorschlag auch hochwillkommen sein und breite Zustimmung genießen. Wäre da nicht ein Problem: Die Haltung der in den längst gescheiterten Lehren des Neoliberalismus verharrenden Staaten und ganz besonders das deutsche Festhalten an Austeritätspolitik und dem Dogma der ausgeglichenen Haushalte. (Schwarze Null). Die Niederlande, Österreich und eben Deutschland haben das Anliegen aus dem Süden und Westen Europas barsch abgelehnt. Das war ein verhängnisvoller Fehler in gleich zweierlei Hinsicht.
Wenn vielleicht die Ablehnung der Bonds durch die genannten Regierungen nicht überraschend kam, die Schnelligkeit und auch die brüske Härte der Ablehnung war es doch. Der Vorschlag, solche Bonds aufzulegen, wird durch neun Regierungen vorgetragen, voran durch die französische, die spanische und insbesondere durch den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte. Nach der Ablehnung der Bonds und darauffolgenden scharfen Protesten aus Rom, Paris und Madrid steht nunmehr ein Kompromiss im Raum.
Statt Euro- bzw. Coronabonds soll es nun Hilfen in Form von Krediten an in Not geratene Mitgliedstaaten aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM geben. Das ist nicht annährend das gleiche und keinesfalls ein angemessener Kompromiss. Während der Vorschlag der Corona-Bonds den Gedanken verfolgt, die Krise gemeinschaftlich – als Union – zu lösen, führten Kredite zu weiterer Verschuldung der Mitgliedsstaaten, besonders solcher, die sich von der Finanzkrise noch gar nicht erholt hatten. Wir wissen nicht, ob der Euro die – der Corona-Krise folgende – Weltwirtschaftskrise überleben wird. ESM-Kredite würden die Gefahr eher noch verschärfen.
Die Ablehnung der Bonds ist ein schwerer Fehler, weil sie auch den Eigeninteressen der ablehnenden Staaten schadet. Nicht unwahrscheinlich, dass sich in europäischen Staaten in naher Zukunft eine Lage einstellt, wie in Griechenland zur Finanzkrise. Schon vor der Corona-Krise galt gerade Italien diesbezüglich als Risikofaktor. An Corona kann also der Euro zerbrechen. In Deutschland wurden im Zuge der »Bazooka«-Politik des Finanzministers alle traditionellen Bedenken beiseite gewischt. In der Corona-Krise gilt die »Schwarze Null« nicht mehr, werden Verstaatlichungen in Betracht gezogen, wird im großen Stil Geld in die Wirtschaft gepumpt. All das ist richtig, da es dazu dient, die Wirtschaft am Leben zu halten und die kommende Rezession möglichst abzuschwächen.
Nur: Wenn solche Maßnahmen in Deutschland richtig und wichtig sind, warum sollten sie es dann in Europa nicht sein? Einer Weltwirtschaftskrise mit Europa als einem der Epizentren wird sich keinesfalls mit nationalen Maßnahmen begegnen lassen. Ganz offensichtlich ist die Regierung Merkel in diesem Fall sehr schlecht beraten. Denkbar ist vieles, auch, dass künftig eine größere Gruppe europäischer Länder gemeinsame Bonds auflegen wird, ohne sich zuvor das Okay aus Berlin oder Wien einzuholen. Selbstverständlich ist nicht nur denkbar, sondern wahrscheinlich, dass besonders von der Krise betroffene Länder wie etwa Italien auf absehbare Zeit nicht in die Fesseln des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückkehren können oder wollen. Ob die Währungsunion die Weltwirtschaftskrise überdauern kann, ist also sehr offen.
Die Ablehnung der Corona-Bonds ist aber auch in einer zweiten Hinsicht ein Fehler. Denn es ist eine Frage europäischer Solidarität. Es ist tatsächlich die Frage, ob die europäischen Staaten der Krise gemeinsam begegnen, oder als konkurrierende Nationalstaaten. Die meisten Grenzen in der EU sind bereits geschlossen. Krisenbewältigungsstrategien sind bis heute vor allem nationale Strategien und die Europäische Kommission ist in dieser Phase fast völlig verstummt. Eine verbindliche und schnelle Zusage, über europäische Anleihen insbesondere die, derzeit von der Krise am schwersten getroffenen Länder zu unterstützen, ein gemeinsames Wiederaufbauwerk in Gang zu setzen, wäre dringend erforderlich gewesen.
Das ist auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Denn wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist, dass es zukünftig noch zu einer Einigung und schließlich der Ausgabe von Coronabonds in der einen oder anderen Form kommen wird – der richtige Zeitpunkt ist verpasst, die kalte Schulter gezeigt. Schwer vorstellbar, dass dies in Frankreich, in Spanien, in Italien rasch vergessen sein wird. Bazooka-Scholz ist also ein Bild, das in Berlin oder in Köln etwas vollkommen anderes signalisiert, als etwa in Mailand oder in Madrid. Merkel, Kurz und Rutte haben zu dem Zeitpunkt, an dem es wirklich darauf ankam, der Europäischen Union und ihrer Akzeptanz in den Ländern, in denen Corona nun insbesondere tobt, schweren Schaden zugefügt. Und Schritte die in solchen Zeiten gesetzt werden, hinterlassen bedeutend tiefere Spuren als üblicherweise.
In Deutschland haben sich die Grünen und die Linke für Corona-Bonds ausgesprochen. Der Parteivorstand der Linken fasste dazu am 4. April einen entsprechenden Beschluss. Auch die Linke Bundestagsfraktion und die deutsche Delegation der Linken im Europaparlament befürworteten die Bonds. Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjahns erklärte gegenüber dem Deutschlandfunk am 1.4. ebenfalls seine Zustimmung und ergänzte in diesem Zusammenhang: »Es geht also um die Rettung Europas.« Bereits am Vortag war allerdings Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz gemeinsam mit Markus Söder in München aufgetreten. Beide hatten die Bonds dort einmütig als »falschen Weg« verworfen.
Anfang April 2020 sind die Städte Norditaliens, ist die Region Madrid, ist das Elsass Katastrophengebiet. Die europäischen Binnengrenzen sind geschlossen. Die Europäische Kommission ist macht- und ratlos. Nationalstaaten konkurrieren in der Union um den Erwerb notwendiger Schutzausrüstung. Und eine Initiative der derzeit am schwersten von der Katastrophe betroffenen Länder um eine echte Hilfeleistung und ein klares Signal der Solidarität wird von den – noch – weniger betroffenen Ländern kurz angebunden abgelehnt, während der deutsche Finanzminister im Inland wirtschaftliche Unterstützung in unbegrenzter Höhe zusagt. Wenn die Europäische Union dies überleben wird, dann gewiss nicht in der Form, in der wir sie bisher kannten.
Andreas Thomsen ist Sozialwissenschaftler und leitet das Büro Brüssel und Madrid der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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