Intrigen des rechten Flügels gegen Corbyn

Bericht sieht Belege für Sabotage des Wahlkampfs der britischen Labour-Partei 2017 durch eigene Funktionäre

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Lektüre macht betroffen: Da tauschen Labour-Funktionäre miteinander WhatsApp-Nachrichten aus, in denen sie sich auf eine kommende Niederlage ihrer eigenen Partei freuen. Über eine schwarze Labour-Abgeordnete machen sie sich lustig, weil sie nach rassistischen Anfeindungen in der Toilette weinte. Und sie bezeichnen Jeremy Corbyn, ihren damaligen Parteichef, als »lügenden Lump«.

Die Äußerungen finden sich in einem 860-seitigen internen Bericht der Labour-Partei, der kürzlich der Presse zugespielt wurde und seither für Debatten sorgt. Das Dokument hat zum Thema, wie die Partei dem Problem des Antisemitismus beizukommen suchte.

Nachdem Corbyn 2015 mit einer linken Agenda den Vorsitz der britischen Sozialdemokraten übernommen hatte, häuften sich in der Öffentlichkeit Vorwürfe, dass Labour unter seiner Führung antisemitischer geworden sei. Behauptet wurde, dass die Partei unfähig oder nicht willens sei, solche Vorfälle zu ahnden. Der anonym verfasste Bericht gibt nun einen detailreichen Einblick in die Abläufe innerhalb der Parteibürokratie, insbesondere der Rechtsabteilung. Die Autoren schreiben, dass Querelen zwischen den verschiedenen Parteiflügeln die Arbeit konstant behinderten. Im Kern geht es um eine tiefe Abneigung vieler Parteifunktionäre bis hinauf zum Generalsekretär Iain McNicol gegenüber dem linken Vorsitzenden.

Der Report bestreitet nicht, dass antisemitische Vorfälle ein Problem darstellten. Nachdem die Partei unter Corbyns Führung auf über eine halbe Million Mitglieder angewachsen war, habe die Basis auch Vorurteile innerhalb der britischen Gesellschaft deutlicher widergespiegelt - darunter antisemitische Haltungen. Das parteiinterne Prozedere zur Disziplinierung von Mitgliedern habe nichts getaugt. Die Autoren sprechen hier von »bürokratischer Trägheit«. Das habe sich in Fällen von Antisemitismus genauso gezeigt wie bei anderen Disziplinarverfahren. Zahlreiche Beschwerden seien einfach ignoriert worden. Zudem sollen die Verantwortlichen der Rechtsabteilung irreführende Informationen an den Parteichef weitergeleitet haben, die ihn das Problem unterschätzen ließen.

Eine Rolle spielte dabei auch der politische Richtungskampf: Viele wichtige Posten in der Labour-Bürokratie sind in der Hand des rechten Randes der Partei. Diese Kader hätten Corbyn als Vorsitzenden völlig abgelehnt, heißt es in dem Report. In »extremen Fällen« habe diese Haltung so weit gereicht, dass Funktionäre es begrüßten, wenn der Parteichef in der Bredouille saß, weil sie damit seinen Abgang näher rücken sahen.

Der Bericht enthält eine große Zahl von E-Mails und WhatsApp-Nachrichten, in denen Amtsträger eine tiefe Verachtung für die überwiegend linke Parteibasis und Corbyn offenbaren. Sie sprechen etwa darüber, die Anhänger des Parteichefs zu »erschießen« oder wollen den Vorsitzenden »erhängen und verbrennen«. Besonderer Hohn gilt der Corbyn-Vertrauten Diane Abbott, der ersten schwarzen Abgeordneten Großbritanniens, die als minderbemittelt abgewertet wird.

Doch die Enthüllungen gehen über hasserfüllte Sprachbilder hinaus: Bei den Neuwahlen zum Parlament 2017 trug dieser Teil des Parteiestablishments laut dem Bericht dazu bei, dass Labour schlechter als möglich abschnitt. Demnach wurde Geld in Wahlkreise mit rechten Labour-Kandidaten geleitet, deren Mehrheit nicht in Gefahr war, während für den Kampf Linker um Sitze, die Labour knapp hätte gewinnen können, finanzielle Unterstützung versagt wurde. Labour fehlten 2017 in 13 Wahlkreisen jeweils rund 900 Stimmen; hätte die Partei diese Sitze gewonnen, hätte sie eine Tory-Regierung verhindern können. Nachdem Labour ohnehin besser abgeschnitten hatte als erwartet, zeigten sich Funktionäre tief schockiert: »Furchtbar«, schrieb der Kampagnenchef auf WhatsApp.

Der explosive Bericht hat genau das bestätigt, was viele Corbyn-Anhänger schon lange sagen: Das Parteiestablishment hat die linke Führung jahrelang aktiv sabotiert. Dennoch entsetzt er mit seinen Details viele Labour-Aktivisten, die Unmengen an Zeit und Energie in das politische Projekt von Corbyn gesteckt hatten. Der neue Labour-Chef Keir Starmer hat eine Untersuchung angekündigt.

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