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Auch Gefangene haben Rechte
Gastkommentar: Volkmar Schöneburg, früherer Justizminister Brandenburgs über den Umgang mit Gefangenen in der Coronakrise
Es ist unbestritten: Die Coronakrise trifft die Unterprivilegierten der Gesellschaft, die Minderheiten, ob nun Hartz IV-Empfänger, Obdachlose oder Geflüchtete, am härtesten. Zu diesen Minderheiten zählen auch die Gefangenen. Doch deren Los interessiert kaum jemanden. Erst recht nicht in einer Zeit, wo die herrschende Politik fast handstreichartig wesentliche Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger außer Kraft setzt. Denn, so die Auffassung vieler, die Mehrheit der Bevölkerung sitze ja gegenwärtig unverschuldet in häuslicher Isolation, während die Insassen der Knäste lediglich ihre gerechte Strafe abbrummen. Warum sollte daher deren Schicksal gerade jetzt Thema sein?
Weit gefehlt. Auch die Gefangenen in diesem Land haben Rechte. Neben dem Grundgesetz und den einschlägigen Menschenrechtskatalogen sind diese unter anderem im Brandenburger Justizvollzugsgesetz geregelt. Aber ihre Durchsetzung ist nicht so einfach, da die Stimmen der Inhaftierten kaum durch die dicken Gefängnismauern dringen und der Rechtsweg oft mühsam ist.
Rechte der Gefangenen sind beispielsweise das Anrecht auf mindestens vier Stunden Besuch im Monat, um ein Minimum an sozialen Kontakten zu Familie und Freunden aufrechtzuerhalten, sowie bei entsprechender Eignung der Anspruch auf vielfältige Lockerungen wie begleitete und unbegleitete Ausgänge oder den Langzeitausgang (eine Art Beurlaubung). Zudem hat ein Gefangener das Recht, bei entsprechender Eignung in den offenen Vollzug verlegt zu werden. Dort geht er in der Regel als Freigänger einer Arbeit außerhalb der Anstalt nach. All diese Maßnahmen dienen der Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft und sollen ihn befähigen, in Zukunft ein Leben ohne Straftaten zu führen.
Die erste Maßnahme des Brandenburger Justizministeriums zum sich ausbreitenden Coronavirus war die Aussetzung der Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen, also der Umwandlung von nicht erbrachten Geldstrafen in Haft. Zugleich wurden die Ersatzfreiheitsstrafler vorläufig aus dem Strafvollzug entlassen. Eine völlig richtige Entscheidung. Diese sinnlose und unverhältnismäßige Sanktion gehört nicht nur ausgesetzt, sondern generell abgeschafft.
Auf den weiteren Verlauf der Pandemie reagiert das Ministerium jedoch restriktiv. Ende März wies es die Anstalten an, alle Lockerungen zur Erreichung des Vollzugsziels auszusetzen. Besuche werden auf zwei Stunden im Monat begrenzt und nur noch für enge Angehörige und Lebenspartner zugelassen. Kindern ist der Besuch verboten. Langzeitbesuche zur Pflege familiärer oder partnerschaftlicher Kontakte werden nicht mehr genehmigt.
Darüber hinaus wurden Freizeitmaßnahmen, insbesondere Sport, drastisch eingeschränkt. Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitstrainings, Arbeit finden nicht mehr statt, wie auch Therapien unter Beteiligung von Externen.
Dieses Bündel an Maßnahmen hat gravierende Negativfolgen für die Gefangenen. Zwei sollen genannt werden. Erstens: Ein Gefangener hat das Recht, eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung zu beantragen – in der Regel nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe. Dem Antrag wird durch das zuständige Gericht bei Vorliegen einer positiven Sozialprognose im Grunde zugestimmt. Die Krux aber ist, dass solch eine Prognose nicht unwesentlich davon abhängt, ob sich der Betreffende in Lockerungen bewährt hat, ob er eine Arbeitsperspektive besitzt oder ein stabiles soziales Umfeld bei seiner Entlassung vorfindet. Man muss nicht Jurist sein, um zu erkennen, dass die Maßnahmen des Ministeriums die vorzeitigen Entlassungschancen vieler Inhaftierter schmälern. Zweitens: Durch die Maßnahmen werden die Gefängnisse zu reinen Verwahranstalten. Wut, Frust oder Niedergeschlagenheit greifen um sich und können zu einer explosiven Stimmung führen.
Fraglich ist auch, wenn das Virus die Gefängnismauern überwinden sollte, ob die brandenburgischen Strafanstalten ausreichend dagegen gerüstet sind. Aus Kreisen der Bediensteten ist zu hören, dass es an ausreichend Schutzbekleidung mangelt. Intern stehen lediglich 28 stationäre Krankenbetten zur Verfügung, davon sechs für die psychiatrische Akutversorgung. Werden, wenn diese Betten belegt sein sollten, infizierte Gefangene dann in Ketten, begleitet durch Beamte in Schutzkleidung, in städtische Krankenhäuser verbracht und dort bewacht?
Um solche Szenarien zu vermeiden, muss die Justizpolitik eine andere Linie verfolgen. Der humane, menschenrechtlich gebotene Weg, einem Coronaausbruch und seinen Folgen im Knast entgegenzuwirken, ist die konsequente Reduktion der Belegung der Anstalten, was zugleich eine erhebliche Entlastung und eine Verminderung der Ansteckungsgefahr für das Personal bedeuten würde. Die Reduktion kann erreicht werden, indem der Langzeitausgang nicht ausgesetzt, sondern großzügig gewährt wird. Zudem müssen Entlassungen auf Bewährung bei Inhaftierten mit kurzen Strafen oder einem überschaubaren Strafrest forciert werden. Denkbar sind in diesem Kontext auch Sammelbegnadigungen analog zur Weihnachtsamnestie. Daneben müssen Neuaufnahmen auf ein Minimum begrenzt werden. Um die Einschränkungen der Besuche wenigstens ein wenig zu kompensieren, müssen die telefonischen Außenkontakte der Gefangenen, wie vom Ministerium vorgesehen, erweitert werden. Das bedingt aber auch kostengünstige Lösungen. Die einfachste Lösung wäre hier, das sowieso nicht durchsetzbare Handyverbot im Strafvollzug endlich aufzuheben.
Bei allen angedachten Maßnahmen sollte nie vergessen werden: Gerade in Krisenzeiten ist ein Indikator dafür, wie sozial, human und demokratisch unsere Gesellschaft ist, ihr Umgang mit den Ausgeschlossenen.
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