»Ist es die Ruhe vor dem Sturm, oder zieht er vorüber?«

Als Leasingkraft kennt die Pflegerin Tanja Lang-Gernath viele Berliner Krankenhäuser. Die sind gut auf Corona vorbereitet. Andere Krankheiten machen aber keine Pause

  • Interview: Nelli Tügel
  • Lesedauer: 7 Min.

In Corona-Zeiten ist es schwer, einen Ort für ein Interview zu finden: Alles hat geschlossen. Treffpunkt ist also die nd-Redaktion, es ist Karfreitag. Tanja Lang-Gernath hat am Vortag bis spätabends gearbeitet, auf der kardiologischen Station eines Berliner Krankenhauses.

Hier gibt es auf dem Klo neben den Waschbecken Desinfektionsmittelspender. Ich hab mir da gerade ein Ladung auf die Hände gepackt, aber Sorge, dass ich es falsch mache.
Sie müssen es gut verteilen, ganz wichtig: auch zwischen den Fingern. So wie beim richtigen Händewaschen, wie das geht, sollten ja inzwischen alle wissen. Und Sie müssen es mindestens 20 Sekunden einwirken lassen.

Als Pflegerin im Krankenhaus
Tanja Lang-Gernath ist 46 Jahre alt und Krankenschwester. Sie wurde in Mainz geboren, seit 2006 hat sie alle möglichen Facetten des Pflegeberufes kennengelernt: Als festangestellte Pflegerin in verschiedenen Krankenhäusern der Rhein-Main-Region, in der ambulanten Pflege, der häuslichen Intensivpflege – und seit Januar als Leasingkraft in verschiedenen Berliner Krankenhäusern. Im Interview erzählt sie von ruhigen Stationen, coronabedingter Einsamkeit und dem Pflegenotstand.

Haben Sie auf Arbeit immer genug Zeit, die Hände zu desinfizieren?
In der Regel ja, und gerade jetzt achten da auch wirklich alle besonders drauf.

Im Moment wird viel über Maskenpflicht gesprochen. Was meinen Sie: ja oder nein?
Ich halte grundsätzlich nicht viel von Verboten oder Pflichten. Wir sollten eher auf Aufklärung setzen und darauf, dass Menschen, wenn sie genug wissen, aus freien Stücken rücksichtsvoll handeln.

Wie viele Krankenhäuser in Berlin kennen Sie von innen?
Als Leasingkraft, also als Springerin für Bereiche, in denen gerade Personal fehlt, war ich in den letzten zweieinhalb Monaten in etwa zehn Häusern eingesetzt.

Warum zweieinhalb Monate?
Seitdem bin ich für eine Zeitarbeitsfirma tätig, die Leasingkräfte vermittelt.

Und was war vorher?
Vorher habe ich in Madrid gelebt, seit Oktober 2018, und dort auf die Anerkennung meines Berufsabschlusses gewartet, um in Spanien arbeiten zu können. Die Anerkennung kam im letzten November.

Madrid! Die Bilder von dort sind schrecklich.
Ja. Ich bin viel mit meinen Freunden dort im Kontakt. Es zerreißt mir das Herz. Die Leute, die im Gesundheitswesen arbeiten, heulen aus dem letzten Loch. Alle anderen kratzen schon an den Wänden, weil sie ja, anders als wir hier, wirklich fast gar nicht mehr aus dem Haus dürfen.

Was hat Sie denn vor zweieinhalb Monaten nach Berlin verschlagen?
Meine Tochter lebt hier und ist im Moment für eine längere Hospitation in einer anderen Stadt. Sie suchte jemanden, der ihre Wohnung hütet. Die Idee, nochmal ein paar Monate nach Berlin zu gehen, hat mir gefallen. Danach wollte ich zurück nach Madrid, wie gesagt, ich habe ja im November für Spanien die Anerkennung meines Berufsabschlusses erhalten. Wann ich zurück kann, weiß ich jetzt aber natürlich nicht.

Da hat die Coronakrise ja im mehrfachen Sinne Ihr Leben ziemlich durcheinander gebracht.
Kann man so sagen.

Das heißt, das Leasing ist nur als vorübergehende Sache gedacht?
Ja, genau, und ich bin froh, dass sowas geht. Für mich ist das praktisch. Ich bin flexibel und kann selbst entscheiden, wann ich arbeite.

Gibt es unter den Leasingkräften viele, die lieber fest angestellt wären?
Es gibt solche und solche. Manche wären sicherlich gerne fest angestellt. Aber Leasing erlebt auch deshalb einen kleinen Boom, weil es Vorteile bietet: Wir verdienen mehr und können frei entscheiden, an welchen Tagen wir arbeiten wollen. Ich werde nicht, wie sonst oft in der unterbesetzten Pflege, an meinem ersten freien Tag nach etlichen Diensten angerufen und gefragt, ob ich nicht doch noch eine Schicht übernehmen kann, weil jemand fehlt.

Nachteile gibt es auch, oder?
Klar. Wer sich nach der Nestwärme einer Station sehnt, was ich absolut nachvollziehen kann, für den ist das nichts. Es fehlt ein fester Anlaufpunkt, weil man immer wechselt und an verschiedenen Orten - nicht nur in verschiedenen Häusern, sondern eben auch auf sehr verschiedenen Stationen - eingesetzt ist, sich oft umstellen muss.

Können Sie denn auch mitentscheiden, wo Sie eingesetzt werden?
Ja, man kann zum Beispiel festlegen, auf welche Stationen man gerne geht und wo man nicht eingesetzt werden möchte. Ich möchte zum Beispiel nicht im Intensivbereich eingesetzt werden, dafür bin ich nicht ausgebildet. Besonders gerne mache ich Innere und Orthopädie.

Warum?
In der Orthopädie beispielsweise wird viel nach Standard gearbeitet, es gibt klare Abläufe. Nichts ist schlimmer in der Pflege als Desorganisation.

Apropos Desorganisation: Als Leasingkraft haben Sie mehr Einblick als die meisten von uns in die Berliner Krankenhauslandschaft. Ist die Stadt gut vorbereitet auf Corona?
Ich würde sagen: Ja, doch. Es wurde alles, was geht, heruntergefahren, OPs verschoben, es wurden extra Bereiche für Coronakranke eingerichtet. Und noch - noch - ist auch Schutzausrüstung vorhanden. Allerdings ist die Stimmung im Moment ganz seltsam, ich kann es kaum beschreiben.

Versuchen Sie es doch mal.
Da planbare Operationen abgesagt wurden, ist es im Moment so ruhig wie sonst nie. Aber wir wissen nicht: Ist es die Ruhe vor der Sturm, oder kommen wir doch um den großen Sturm herum.

Ich stelle mir vor, dass es in Krankenhäusern gar kein anderes Thema mehr gibt als Corona.
(Lacht) Nein, das ist überhaupt nicht so. Es gab auch vor Covid-19 Gefahren im Krankenhaus: Multiresistente Keime, Tuberkulose und so weiter. Menschen haben auch während einer Pandemie andere schwere Krankheiten. Wir reden eigentlich sogar recht wenig über Corona.

Haben Sie genug Zeit für die Patienten?
Normalerweise nicht, im Moment schon, weil es so ruhig ist, gerade auf den Stationen, wo sonst viele planbare OPs stattfinden. Das ist aber auch gut so, denn die Patienten, die da sind, brauchen uns jetzt ja mehr als sonst. Besuche in den Krankenhäusern sind verboten, und das führt dann eben dazu, dass Menschen sehr einsam sind, dass jemand allein damit bleibt, gerade eine Krebsdiagnose bekommen zu haben und solche Sachen.

Kürzlich hat die Regierung verfügt, dass die Arbeitszeit für »systemrelevante Berufe« auf zwölf Stunden ausgeweitet werden kann. Wie finden Sie das?
Sowas geht nur, wenn man die Rahmenbedingungen dafür schafft. Also zum Beispiel längere Pausen, die auch wirklich genommen werden können. Zwölf Stunden nur rennen - das geht jedenfalls nicht.

Hatten Sie eigentlich auch schon mit Corona-Patienten zu tun?
Nein. Ich denke, das wird erst passieren, wenn es richtig eng wird. Vorher wird man eher darauf verzichten, uns Leasingkräfte bei Corona-Infizierten einzusetzen, damit wir nicht möglicherweise das Virus durch die ganze Stadt schleppen.

Meidet Ihr Umfeld Sie in diesen Zeiten, weil Sie mit Kranken zu tun haben?
Ist mir noch nicht aufgefallen. Klar, wir sind die Überträger Nummer eins, andererseits wissen wir uns auch zu schützen.

Haben Sie Angst vor dem Virus?
Das Ding mit Corona ist, dass wir dieses Virus eigentlich noch nicht kennen und nicht wirklich verstehen, weshalb es zum Beispiel so ansteckend ist. Das ist gruselig.

Mancherorts wird jetzt abends am Fenster geklatscht für Menschen wie Sie. Wie finden Sie das?
Manche finden das lächerlich, aber ich finde es eigentlich schön. Nur kriegen die Deutschen sowas nicht so richtig hin. In Spanien zum Beispiel ist es inzwischen ein weit verbreitetes Ritual. Die Menschen haben das Bedürfnis, sich zu bedanken.

Und jenseits des Applauses?
Viele bleiben nur ein paar Jahre in der Pflege, junge Menschen wollen den Beruf nicht mehr machen. Wichtig wären mehr Personal und bessere Strukturen. Und dann müssen Veränderungen schneller gehen. Seit ich das deutsche Gesundheitswesen von innen kenne, seit 15 Jahren, ist der Pflegenotstand Thema. Und es tut sich ja durchaus was, aber es dauert einfach zu lang.

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