Kommunal statt national

Ralf Hoffrogge über Vergesellschaftung und ein Wirtschaften nach Corona

  • Ralf Hoffrogge
  • Lesedauer: 3 Min.

Viel ist gesagt worden über Wirtschaft seit Beginn der Corona-Pandemie - und viele wichtige Lektionen wurden gelernt. So etwa, dass nicht Banken, sondern Pflegekräfte und Supermarktkassiererinnen systemrelevant sind. Oder dass es nicht klug ist, für lebenswichtige Produkte auf globale, auf Kante genähte Lieferketten zu setzen. Doch Lösungsvorschläge für ein Wirtschaften »nach Corona« verharren oft bei der Losung »Mehr Staat, weniger Markt«. Dabei waren wir mit dieser Debatte schon mal weiter. In Berlin wurde bereits in der fernen Zeit »vor Corona« ein Volksentscheid zur Vergesellschaftung aller Wohnungsbestände über 3000 Einheiten angestoßen. Gefordert wurde nicht nur öffentliches Eigentum, sondern auch dessen demokratische Verwaltung. In einer Broschüre mit dem Titel »Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft« hat die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« versucht, ein anderes Wirtschaften einmal durchzuspielen.

Das Konzept setzt nicht auf klassische Verstaatlichung, denn bisherige Staatsbetriebe sind mehrfach indirekt verwaltet: das Volk wählt ein Parlament, das Parlament eine Regierung, die wiederum setzt Staatssekretäre und Beauftragte ein, die das Staatseigentum verwalten. Oft werden dafür privatkapitalistische Rechtsformen wie die Aktiengesellschaft bemüht - so etwa bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften Berlins, aber auch bei kommunalen Krankenhaus-Unternehmen. Das Ergebnis sind auf betriebswirtschaftliche Effizienz getrimmte Konzerne wie die Deutsche Bahn, deren Gemeinwohlauftrag man trotz 100 Prozent Staatseigentum über Jahrzehnte nur erahnen konnte.

Um systemrelevante Bereiche wie Gesundheit, Wohnen oder Nahverkehr wirklich anders zu organisieren, muss daher eine transparente und demokratische Verwaltung im Vordergrund stehen: durch die Beschäftigten aber auch sonstige Wirtschaftsteilnehmende - bei der Bahn durch die Kund*innen, bei Wohnungsunternehmen durch die Mieter*innen, bei kommunalen Krankenhäusern durch Patient*innen oder, da wir alle einmal krank werden, durch Delegierte der Stadtgesellschaft. Die lokale und regionale Ausgestaltung ist wichtig - denn nur so lassen sich Menschen zum Mitverwalten animieren. Reine Verstaatlichung dagegen ist als »Nationalisierung« kompatibel mit autoritären »Lösungen« der Coronakrise. Die Verwundbarkeit globaler Lieferketten lässt sich auch in diesem Sinne beheben, durch Grenzschließungen für alle außer »nützlichen« Arbeitskräften, durch Abbau von Arbeitsrechten, Schutzzölle und staatsnahe Großkonzerne als »nationale Champions«.

Der Vorschlag, die Berliner Bestände großer Wohnungskonzerne vom Finanzmarkt zu nehmen und durch die Stadtgesellschaft als »Anstalt öffentlichen Rechts« zu verwalten, weist dagegen in die Gegenrichtung: eine demokratische De-Globalisierung, deren Träger Kommunen, Nachbarschaften und Hausgemeinschaften sind. Kommunalisierung statt Nationalisierung.

Doch wie kommen wir dahin? Akademische Analysen über Corona und Kapitalismuskritik sprießen gerade, doch die Praxis ist schwer. In Berlin nutzte der Senat die Krise, um das Vergesellschaftungs-Volksbegehren erneut zu blockieren. Eine »juristische Prüfung« hält das ganze fest, Aussagen über ein Ende der Prüfung vom Februar wurden dementiert, sobald die Schlagzeilen im März mit Corona belegt waren. Demonstrationen dagegen sind derzeit unmöglich. An alle, die gerade über »Corona als Chance« nachdenken, daher der Appell: Wenn es nicht gelingt, derartige Angriffe auf die Demokratie zu verhindern, steht ein ökonomischer Neustart in den Sternen.

Ralf Hoffrogge ist aktiv bei der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Die Broschüre »Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft« ist online hier abrufbar.

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