Warum Bernie Sanders verloren hat

Max und Moritz analysieren im Chat mit Oliver Kern jede Woche den US-Wahlkampf: Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat

  • Max Böhnel und Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.
MUM4 - Warum Bernie Sanders verloren hat

Bernie Sanders hat seine Kandidatur zurückgezogen. Somit steht fest: Ex-Vizepräsident Joe Biden wird der Kandidat sein, mit dem die Demokraten Donald Trump aus dem Amt jagen wollen. Max, war es der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt?

Max und Moritz

Max Böhnel ist USA-Korrespondent des »nd« und lebt seit 1998 in New York. Dort arbeitet er für mehrere Publikationen und Radiosender in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Moritz Wichmann ist Redakteur im Onlineressort des »nd«, sein Schwerpunkt sind die USA. Er studierte Politik und Soziologie in Berlin und New York. Ein Teil seiner Familie lebt in den USA.

Oliver Kern ist Redakteur im Sportressort des »nd«. Er studierte einst in einer Kleinstadt in Ohio. Bis heute hält er sich auf dem Laufenden, was politisch in den USA los ist.

Max Böhnel: Besser zu spät als gar nicht. Dass Sanders nicht gut da steht, deutete sich schon Ende Februar an, als Joe Biden ab der Vorwahl in South Carolina so unglaublich davonzog. Das war eine riesige Überraschung und für einige wohl auch ein Schock. Dann kam der Super Tuesday, an dem Sanders in nur vier Bundesstaaten vorne war und Biden in zehn. Dass etwas schieflief, war also damals schon klar. Und Sanders hätte sich überlegen müssen, ob sich das Weitermachen noch lohnt. Dass er ausgerechnet jetzt zurückzog, liegt am Coronavirus. Sein Wahlkampf war vor allem geprägt von Massenkundgebungen, und die sind jetzt nicht möglich.

Moritz Wichmann: Ich glaube auch, dass die Coronakrise das mitdiktiert hat. Aber der Druck wurde auch immer größer, weil Sanders dem führenden Kandidaten Biden potenziell immer mehr Schaden zugefügt hätte durch eine Nichteinigkeit der Partei. Er hat das Beste aus der Situation gemacht.

Hat Sanders denn trotzdem noch Einfluss aufs Wahlprogramm, das die Demokraten bald verabschieden werden?

Moritz: Das könnte man als optimistischer Linker hoffen. In Sachen Delegiertenzahl ist er im Vergleich zu 2016 zwar in einer schwächeren Position. Er wird aber wohl genug zusammenbekommen, um Minderheitenanträge auf dem Parteitag stellen zu können. Vielleicht ist er aber sogar in einer stärkeren Position, wenn der moderate Parteiflügel, und dafür gibt es Anzeichen, endlich akzeptiert, dass das Lager rund um Sanders ein wichtiger Teil der Partei ist. Sanders und Biden haben auch schon verkündet, dass sie gemeinsame Arbeitsgruppen gründen, in denen Kompromisspositionen gefunden werden sollen.

Lesen die Leute in den USA überhaupt Parteiprogramme?

Max: Mir ist noch nie eins aufgefallen. Ich wüsste gar nicht, wo ich das suchen würde, wahrscheinlich auf der Webseite der Demokratischen Partei. Aber ich frage mich schon: Sollten die Wähler das überhaupt lesen? Mir ist nicht bekannt, dass sich jemand in den letzten Jahrzehnten in der politischen Debatte je auf ein Parteiprogramm berufen hätte.

Moritz: Das mag sein, aber das Programm ist doch auch Beschlusslage. Siehe Mindestlohnerhöhung auf 15 Dollar: Die stand seit 2016 drin, und drei Jahre später wurde sie von den Demokraten im Repräsentantenhaus beschlossen. Noch scheitert sie an Präsident Trump und dem Senat, aber das Programm hat Einfluss auf die Politik.

Warum hat es für Sanders wieder nicht gereicht? Immerhin konnte er dieses Mal mit einer viel größeren Fanbasis und viel mehr Geld starten. Er war zwischendurch sogar Favorit auf den Vorwahlsieg, hatte nach den ersten drei Bundesstaaten die meisten Delegierten. Hat Sanders taktische Fehler gemacht, oder lag es an externen Faktoren?

Max: Selbst als Bernie Favorit war - also nach den Vorwahlen in Nevada Mitte Februar bis zum Super Tuesday Anfang März - war er das vornehmlich, weil das Bewerberfeld der Zentristen völlig zersplittert war. Das kam ihm zugute.

Moritz: Sanders hat erst mal ziemlich viel richtig gemacht. Seine Umfragewerte gingen über Monate stetig nach oben. Mit ein bisschen Glück hätte es auch anders laufen können. Sanders hatte dann in der Tat keine strategisch gute Antwort auf die massive Konsolidierung der Parteiführung rund um Joe Biden direkt vor dem Super Tuesday. Aber bis dahin hatten sich laut Umfragen 50 Prozent der Wähler vorstellen können, Sanders zu wählen. Es war also wirklich knapp. So einen starken Umschwung wie es ihn dann zu Biden gab, hat es in so kurzer Zeit nie zuvor gegeben. Es war wirklich etwas Einmaliges.

Max: Sanders hatte, das muss man auch sagen, von Anfang an sowohl die Parteiführung gegen sich als auch einen großen Teil der Massenmedien. Es waren wochenlang kritische Artikel mit dem Tenor zu lesen, es wäre ein Fehler, wenn die Partei stark nach links rückt und Sanders der Kandidat wird. Trump würde ihn und die Demokraten als Sozialisten und Linksradikale zerlegen.

Moritz: Ich glaube auch, dass sich sehr linke Kandidaten in Zukunft Gedanken darüber machen müssen, wie sie besser mit den Massenmedien umgehen. Es war ein Fehler der Sanders-Kampagne, hier keinerlei Zugeständnisse zu machen, und immer die Anti-Establishment-Rhetorik zu fahren. Nach dem Super Tuesday hat er versucht, ein bisschen auf die Normalo-Demokraten zuzugehen, aber das war too little, too late.

Max: Sein Wahlkampfteam hat zudem die Bedeutung der schwarzen Wähler von Anfang an unterschätzt. Es hatte in der Mehrzahl der Südstaaten, wo die demokratische Basis mehrheitlich aus Afroamerikanern besteht, überhaupt keine Teams unterwegs.

Moritz: Ich denke schon, dass sich das Team deutlich mehr engagiert hat, etwa mit schwarzen Organizern vor Ort. Aber die schwarze Community hat mit den Clintons und Biden eine jahrzehntelange Verbindung. Das lässt sich nicht so schnell aufholen.

Max: Die schwerwiegendste Fehleinschätzung betraf aber die weiße Arbeiterklasse. Die hatte 2016 sehr stark Sanders unterstützt, diesmal aber Joe Biden. Eine Erklärung dafür ist wohl, dass sie vor vier Jahren Bernie gar nicht für seine Ideen wählte, sondern nur, weil sie Hillary Clinton nicht mochte. Da kommt das Thema Sexismus ins Spiel.

Moritz: Sanders traf diesmal aber auch auf ein super verängstigtes Wahlvolk. Viele Demokraten haben richtig Schiss und wollen auf Teufel komm raus Trump abwählen. Das erklärt diesen Widerspruch, dass die Leute bei inhaltlichen Fragen, etwa der Einführung einer staatlichen, Krankenversicherung, Sanders’ Ideen unterstützen, ihn aber nicht gewählt haben. Das ist ihnen gerade nicht das Wichtigste.

War ihnen der Kandidat Sanders vielleicht auch suspekt?

Max: Sanders ist sehr stur. Ich hab ihn 2015 mal interviewt, und das ist mir sofort aufgefallen. Er hielt sich auch jetzt oft nicht an seine Berater. Die hatten ihm empfohlen, Biden in TV-Debatten hart anzugehen. Das hat er nicht gemacht.

Moritz: Das hat damit zu tun, dass er ihn persönlich mag. Aber auch, weil die zweite Wahl vieler Biden-Wähler lange Zeit Sanders selbst war. Die wollte er dann mit zu harten Attacken nicht abschrecken, für den Fall, dass er sie später brauchen würde.

In den bisherigen Folgen von Max & Moritz ging es um:

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