Traum von einem Wettkampf

Die Para-Athleten hat die Tokio-Absage hart getroffen. Janne Engeleiter trainiert wie gewohnt, Annabel Breuer muss aufpassen.

Ach, diese Medien! Für die Verschiebung der Paralympischen Spiele in Tokio hatte Julius Beucher ja volles Verständnis. »Das war überfällig« sagt der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes gegenüber »nd«: »Die Gesundheit der Athleten steht über allem.« Doch die Absage der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele von Tokio gab Beucher wieder allen Grund, sich auf eine altbekannte Weise zu ärgern: In den meisten Zeitungen und Fernsehberichten spielte nur der Wegfall der Nichtbehinderten-Wettkämpfe eine Rolle: »In so vielen Medien war vom Olympia-Aus die Rede, aber die Absage der Paralympics haben viele nicht mit erwähnt.«

Dabei ist alles klar geregelt: Bis mindestens 2032 gehören Olympia und Paralympics untrennbar zusammen - derselbe Wettkampfort, dieselben Wettkampfstätten. Die Spiele der Para-Sportler folgen zweieinhalb Wochen nach Abschluss der Olympischen Spiele. Dass aus Tokio 2020 wegen Corona Tokio 2021 wurde, betrifft nicht nur die 10 000 Olympiastarter, sondern auch mehr als 4000 behinderte Sportler, die sich bei den Paralympics messen wollen. So wie Janne Engeleiter. Die 24-Jährige aus Cottbus ist eine der besten sehbehinderten 100-Meter-Sprinterinnen der Welt. Den 12,49 Sekunden, Qualifikationsnorm für die Spiele in Tokio, ist sie schon auf drei Hundertstel nahegerückt. Nur zu gerne würde sie ihrem Paralympics-Start 2016 in Rio de Janeiro einen zweiten folgen lassen - in Tokio.

Antreten oder schnell heim?

Ursprünglich hatte sie gehofft, die Norm bei einem Wettkampf in Dubai im März zu knacken. Doch der wurde wegen der Corona-Gefahr abgesagt. Janne Engeleiter plante um und reiste stattdessen am 9. März nach Südafrika. Dort war ein Wettkampf auf einer Bahn angesetzt, von der es hieß, die Tartanbeschaffenheit ermögliche Sprintbestleistungen. »Doch zeitgleich verschärfte sich in Deutschland die Lage wegen Corona täglich«, erinnert sich Janne Engeleiter. Statt sich auf den Wettkampf zu konzentrieren, beriet sie mit dem Trainer hin und her, was man tun könne. Der Rückflug sollte über die Türkei gehen, die bereits gravierende Reiseeinschränkungen angekündigt hatte. Es wurde knifflig: Antreten oder schnell nach Hause? Schließlich stand die Cottbuser Sprinterin in Pretoria an der Startlinie, nicht wissend, ob sie bald nach Hause kommen würde. Sie lief gut, besser als erwartet, die Olympianorm indes schaffte sie nicht. Eine Enttäuschung.

Zumindest die Rückreise aber glückte problemlos: Sportlerin und Betreuer kamen unbehelligt und zügig zurück nach Deutschland. Dann kam die Paralympics-Absage, ein neuerlicher Schlag, der auch die Lebensplanung Janne Engeleiters über den Haufen wirft: »Für 2021 hatte ich geplant, zu pausieren und ein Praktisches Jahr im Rahmen meiner Ausbildung zur Kinder- und Jugendtherapeutin zu absolvieren. Das muss nun warten. Ich will 2021 dabei sein.«

Was das Training anbetrifft, hat Janne Engeleiter Glück: In Brandenburg wird den Olympia- und Paralympics-Kandidaten Zugang zu den Trainingsstätten gewährt: soweit es geht, unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln. »Ich trainiere deswegen auch in diesen Tagen nicht anders als vor der Pandemie«, sagt Engeleiter. »Wir Sprinterinnen können die Abstandsregeln hier in Cottbus leicht einhalten. Ich bin mit der olympischen Sprinterin Marie Scheppan die Einzige hier.«

Weil nur die Olympia- und Paralympics-Kader trainieren dürfen, seien die Bedingungen für sie sogar besser: »Es ist wesentlich ruhiger!«, sagt die Athletin, die von Geburt an nur über etwa fünf Prozent Sehfähigkeit verfügt. Dennoch: Hart zu trainieren ohne zu wissen, wann der nächste Wettkampf ansteht, sei »schon sehr seltsam«, sagt Engeleiter: »Wir wissen ja noch nicht, ob die aus dem Juni in den Herbst verlegte EM vielleicht doch noch stattfinden kann. Aber zwischen einem Training für die Paralympics oder einer Vorbereitung auf eine EM, die nur vielleicht stattfindet, liegen Welten.«

Abhusten fällt schwer

Noch härter trifft es Mannschaftssportlerinnen wie Para-Basketballerin Annabel Breuer. Die 27-Jährige aus Gießen gewann 2012 mit der deutschen Nationalmannschaft Paralympics-Gold, als fester Bestandteil des Teams, mit dem sie eigentlich unter anderen Umständen gerade ein Ostertrainingslager in Bad Honnef absolviert hätte. Doch statt der Papalympics-Präparierung und gemeinsamem Training mit den Kolleginnen vom Bundesligisten RSV Lahn-Dill powert sich die Psychologiestudentin derzeit nur im Heimtraining aus, zwei Stunden pro Tag: »Ich fahre Handbike oder mit den Ropes. Das sind zwei Seile, die man verankert und dann mit den Armen in Bewegung versetzt.«

Kraft- und Fitnesstraining täglich - und was ist mit dem Ball? Den habe sie seit Wochen nicht mehr in die Hand genommen, sagt die Basketballerin. Es habe wenig Sinn. »Bis wir wieder spielen, wird noch viel Zeit vergehen«, glaubt Annabel Breuer. Ihr Verein habe beschlossen, sich anders als die Fußballer nicht um die schnelle Wiederaufnahme des Wettkampfbetriebs zu bemühen: »Wir wollen Abstand halten, so wie es die ganze Gesellschaft derzeit noch tun muss.«

Für sie selbst hat die Pandemie noch schwerwiegendere Auswirkungen, wie für etliche Para-Sportler: Sie gehört zur Risikogruppe. Eine Infektion würde sie besonders gefährden: »Ich bin relativ hoch gelähmt, durch die geringere Aktivität der Bauchmuskulatur fällt mir schon bei einer Erkältung das Abhusten sehr schwer«, sagt Annabel Breuer. »Meine Lunge ist daher stets anfälliger.«

Wie es weitergehen soll? Die Gießenerin geht davon aus, dass es eh noch eine Weile dauern wird, bis die Para-Basketballer erstmals wieder zusammen spielen dürfen - vermutlich frühestens im Herbst, nimmt sie an. Wie sie sich dann schützen, darüber will sie sich noch nicht den Kopf zerbrechen: »Wir werden ja alle lernen müssen, mit dem Virus zu leben!«

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