Das andere Virus in der Truppe

Bundesregierung offenbart höchst lückenhafte Sicht auf Extremismus in der Bundeswehr

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit ein paar Tagen helfen Bundeswehrsoldaten Gesundheitsämtern bei Recherchen, mit denen Corona-Infektionsketten aufgedeckt werden. So wurde es in der vergangenen Woche zwischen der Kanzlerin, der Verteidigungsministerin und den Ministerpräsidenten der Länder vereinbart. Unter anderem in Brandenburg sind dafür rund 100 Soldatinnen und Soldaten abgestellt.

Derartigen Dienst an der Gesellschaft könnte die Truppe aber auch leisten, wenn sie Infektionen ganz anderer Art bekämpfen würde. Zwar behauptet die Bundesregierung in einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, dass Extremisten in der Bundeswehr keinen Platz hätten, doch muss der Militärische Abschirmdienst (MAD) – Stichtag 31. Dezember 2019 – in 743 genau solchen Verdachtsfällen ermitteln.

Das Schwergewicht liegt mit 592 Fällen eindeutig rechtsaußen. Hinzu kommen 34 Fälle, in denen es um sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter geht. Die 37 Fälle von Ausländerextremismus sind diesen Gruppierungen gewiss nicht fern. »Linke Gefahren« nehmen sich mit 34 erkannten Fällen gewohnt bescheiden aus, Islamismus spielt in 69 Fällen eine Rolle. Allein im Jahr 2019 – so zeigen andere Statistiken – kamen 360 neue rechtsextremistische Verdachtsfälle hinzu. Und dass, obwohl der MAD seit Juli 2017 jeden Bewerber unter die Lupe nehmen soll.

Das Problem ist offensichtlich. Daher hat das Verteidigungsministerium im Oktober 2019 eine Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle (KfE) eingerichtet. Ziel sei es, »Extremistinnen und Extremisten sowie Personen, zu denen Erkenntnisse über fehlende Verfassungstreue vorliegen, schnellstmöglich aus dem Dienstverhältnis zu entfernen und ihnen somit insbesondere die Ausbildung und Tätigkeit an Waffen der Bundeswehr zu verwehren«, betont die Regierung. Wie effektiv die KfE arbeitet, ist schwer zu beurteilen. Doch dass man nicht in der Lage ist, die infrage kommenden Fälle der letzten zehn Jahre nach Bundesländern, Standorten und Dienstgraden aufzuschlüsseln, deutet zumindest auf Schwachstellen. Auch eine statistische Erfassung von Mitgliedschaften in freikorpsähnlichen Sammlungen ist nicht gegeben. Versichert wird allerdings pauschal, dass der MAD »alle bekanntwerdenden Bezüge von Personal der Bundeswehr zu UNITER e.V. in jedem Einzelfall« prüft. Und zwar »sehr genau«, um festzustellen, ob tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen». Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass UNITER e.V. zwischenzeitlich durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zum Prüffall erklärt wurde.« Und was kam bislang beim Ermitteln heraus? »Dem BMVg ist die Mitgliedschaft eines ehemaligen Soldaten bei UNITER e. V. bekannt.«

Toll! Das ist der Beweis, dass man im Ministerium von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zumindest temporär Zeitung liest. Dennoch bleibt unverständlich, dass trotz KfE »eine statistische Erfassung von Erkenntnissen über strafrechtliche Ermittlungsverfahren der zuständigen Behörden gegen Bundeswehrangehörige wegen des ›Verdachts auf Extremismus‹ als solchem nicht geführt« wird. Naheliegend wurde die Regierung auch gefragt, wie viele Waffen und Munition seit 2015 bei der Bundeswehr vermisst werden. Das, so heißt es, sei geheim. Noch problematischer jedoch ist, dass der Bundesregierung keinerlei Kenntnisse über den Verbleib der vermissten Waffen vorliegen.

Angesichts so dürrer Fakten, die keinesfalls ein gesteigertes Engagement wider Extremismus erkennen lassen, verweist die Regierung auf den nächsten KfE-Bericht »mit aktualisierten Daten«. Er soll Anfang September erscheinen. Zugleich wird betont: »Es ist beabsichtigt, zukünftig auch über eine erweiterte statistische Auskunftsfähigkeit bei der Bearbeitung von Extremismusverdachtsfällen zu verfügen.« Bleibt zu hoffen, dass die Unterstützung der Truppe für den Kampf gegen Corona den Blick auf andere Gefahren nicht länger trübt.

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