Universität: Lehre in der Leere

Das komplette Sommersemester soll digital ablaufen - Studierende warnen vor Chaos

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit mehrwöchiger Verspätung beginnt an diesem Montag für die fast 200 000 Studierenden der Berliner Hochschulen das Sommersemester. Ein Semester, »das es so in der Geschichte unserer Stadt noch nie gab«, wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am vergangenen Freitag erklärte.

Womit Müller mal recht hat. Denn tatsächlich bleiben die Universitäten und Fachhochschulen aufgrund der Corona-Pandemie für die Studierenden geschlossen. Die Lehre selbst soll sich im kompletten Semester ins Internet verlagern. Die Vizepräsidentin für Lehre und Studium der Humboldt-Universität (HU), Eva Inés Obergfell, etwa teilte in einem am Freitag auf der Homepage der Hochschule veröffentlichten Video mit, dass man bis zu 85 Prozent der geplanten Veranstaltungen digital anbieten wird, an manchen Instituten wie dem für Katholische oder dem für Islamische Theologie sogar bis zu 100 Prozent.

Ein ähnliches Bild ergibt sich an der Technischen Universität (TU). Auch hier könnten 80 bis 90 Prozent der Veranstaltungen online gestemmt werden, so die TU in einer ebenfalls am Freitag verbreiteten Mitteilung. »Die Bandbreite reicht von Vorlesungen über Formate für Gruppenarbeit bis hin zu Angeboten, die Dozent*innen und Student*innen gemeinsam erarbeitet haben und nun ihren Kommilitonen anbieten.« Insgesamt stünden den rund 34 000 Studierenden der TU mehr als 1500 digitale Lehrveranstaltungen zur Verfügung, wobei sich die Zahl im Laufe der nächsten Wochen noch erhöhen werde.

Schöne bunte Digitalwelt? Juliane Ziegler, Referentin für Lehre und Studium beim RefRat, der Studierendenvertretung da HU, ist da skeptisch. »Ich frage mich, woher die HU-Leitung die Zahlen nimmt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass bei uns die angekündigten Veranstaltungen alle stattfinden.«

Auch HU-Vizepräsidentin Obergfell hatte eingeräumt, dass in den Fächern Kunst und Sport sowie bei Laborpraktika digital nichts auszurichten ist: »Das wird nachgeholt.« Schon hier beginnen aber die Probleme, sagt Juliane Ziegler. »Das wird sich logischerweise auf die nächsten Semester auswirken.« Es sei ja begrüßenswert, dass, wie von der HU versprochen, das Sommersemester zwar als Hochschulsemester gezählt, aber nicht auf die Fachstudienzeit angerechnet wird. »Allerdings muss auch darauf hingewirkt werden, dass das Bafög verlängert wird, und zwar, da manche Kurse eben nur im Sommersemester angeboten werden, um drei Semester«, so Ziegler zu »nd«.

Anders als bei den ab diesem Montag in Berlin und Brandenburg beginnenden Abi-Prüfungen ist bei den Prüfungen an den Universitäten momentan noch unklar, wann wieder Präsenzklausuren stattfinden können und ob Klausuren auch online durchgeführt werden können. Der TU zufolge könnten Präsenzklausuren »unter verschärften Abstands- und Hygienebedingungen in ein paar Wochen wieder möglich sein«. Auch sei man zuversichtlich, »ein System zur Durchführung von Online-Klausuren anbieten zu können«. Auf jeden Fall wolle man die Studierenden »sobald wie möglich« mit aktuellen Informationen zu dem Thema versorgen.

Genau diese Informationen vermissen die Studierenden aber an der HU. »Die Kommunikation seitens der Uni-Leitung ist katastrophal«, sagt RefRat-Vertreterin Ziegler. Insgesamt verstärke sich bei ihr der Eindruck, »dass hochschulintern nur wenige überhaupt irgendeinen Plan haben, wie es konkret weitergehen wird«. Auch gebe es »in den seltensten Fällen Infos, wie die Kurspraxis aussehen wird«. Schon jetzt zeichne sich überdies ab, dass nicht alle Studierenden an den Onlinekursen teilnehmen werden können, sofern diese auf eine bestimmte Teilnehmer*innenzahl begrenzt sind - »und das, wo die Seminare auch sonst schon im analogen Hochschulalltag völlig überbucht sind«. Zu befürchten sei ein heilloses Chaos.

HU-Vizepräsidentin Eva Inés Obergfell formulierte es in ihrer Videobotschaft am Freitag etwas anders: »Es wird ein ganz besonderes Sommersemester 2020.«

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