Erst Panzer, dann Pandemie

Die prekäre Sicherheitslage in einigen afrikanischen Ländern lässt Schlimmstes befürchten, wenn sich nun auch dort das Virus ausbreitet.

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Seit Wochen warnt der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, davor, was die Pandemie in Afrika anrichten wird. Zuletzt nahmen die Infektionen um mehr als 50 Prozent pro Woche zu, die Todesfälle sogar um mehr als 60 Prozent. Vor allem Algerien, Ägypten, Marokko und Südafrika sind derzeit von Corona betroffen. Wenn nicht schleunigst gehandelt werde, könnte die Anzahl der Infizierten innerhalb von drei bis sechs Monaten auf zehn Millionen steigen, so die WHO. Denkbar seien mehr als drei Millionen Pandemie-Tote, ergänzt die Uno-Wirtschaftskommission für Afrika (Uneca).

Deutschland hat in den vergangenen Jahren Afrika ganz neu entdeckt, glaubt man der Regierung. Noch vor einem halben Jahr versprühte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der Berliner Konferenz »Compact with Africa« Hoffnungen auf eine gerechtere Zusammenarbeit, als sie die Vorzüge eines »Marshallplans mit Afrika« pries. Im CSU-verwalteten Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hieß es, dass dem Kontinent »bei der Lösung globaler Fragen eine wichtige Rolle zukommt«. Man habe die Zusammenarbeit »deutlich intensiviert«, weil »das nicht nur im afrikanischen Interesse ist, sondern auch im Interesse der größten Volkswirtschaft Europas, im deutschen Interesse«.

Libyen: Der Friedensprozess stockt

Um das zu formulieren musste man bereits in »normalen« Zeiten eine rosarote Brille aufsetzen, denn die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents und seiner Bewohner durch die entwickelte kapitalistische Welt schreitet ebenso voran wie die Klimakatastrophe. Nun kommt Corona hinzu. Darauf zu hoffen, dass afrikanische Staaten besser aufgestellt sind, weil sie aus der Ebola-Katastrophe Schlussfolgerungen gezogen hätten, wäre ebenso fatal wie die Annahme, dass Corona in Afrika weniger wütet, weil die Menschen dort im Schnitt jünger sind als in unserer Region. Viel wahrscheinlicher ist es, dass aus der Pandemie zusätzliche Spannungen und Unruhen erwachsen.

Zu Jahresbeginn brachte Außenminister Heiko Maas (SPD) hochrangige Delegationen aus zehn Ländern in Berlin an einen Tisch. Sie bekannten sich zu einem libyschen Friedensprozess unter Ägide der Uno. Gemeinsam wollte man sich endlich an das verhängte Waffenembargo halten und weder die Truppen von Armeechef Chalifa Haftar noch die von Premier Fajis al-Sarradsch beliefern. Maas war beglückt vom Resultat der deutschen Initiative: »Wir haben uns heute den Schlüssel besorgt, der den libyschen Konflikt beenden kann. Aber ohne ein Verfolgen des politischen Prozesses wird dies nicht gelingen.«

Und was wurde seither verfolgt? Wie zuvor die eigenen Interessen. Daran ändert auch die nun beschlossene EU-Alibi-Operation »Irini« nichts, an der sich Deutschland mit einem Aufklärungsflugzeug und Ausbildern für Libyens »Küstenwache« beteiligt. Die Libysch-Nationale Armee bekommt dennoch weiter Waffen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, aus Ägypten und Russland. Neben russischen Söldnern kämpfen zunehmend »Vertragssoldaten« aus dem Sudan an Haftars Seite, denn nach dem Sturz des Präsidenten Omar al-Bashir vor rund einem Jahr sind die Killer arbeitslos. Die Türkei unterstützt die Regierung und schmuggelt turkmenisch-stämmige Kämpfer der Sultan-Murad-Division aus Syrien ins Land. Dass angesichts des Mordens kaum über die Bekämpfung der Corona-Pandemie nachgedacht wird, ist evident.

Ähnliches ist in Mali zu beobachten. Angesichts der vielschichtigen sozialen Probleme verzeichnen Islamisten dort Zulauf. Anfang 2013 griff die ehemalige Kolonialmacht Frankreich auf Bitten der malischen Regierung, doch keinesfalls ohne eigene Interessen, ein und trieb die auf Bamako zusteuernden Terrortrupps zurück. Deutschland zeigte sich sogleich solidarisch - mit Frankreich. Der Bundestag beschloss, gleichfalls Militär nach Mali zu schicken. Im Rahmen der EU-geführten Mission (EUTM) will man malische Sicherheitskräfte befähigen, die Ordnung im Lande selbst zu garantieren. Mit mäßigem Erfolg - und wegen der Pandemiegefahr hat man gerade alle Lehrgänge ausgesetzt.

So einfach kann man die zweite Mission MINUSMA nicht »stilllegen«. An dem Uno-Blauhelmeinsatz sind über 13 000 Militärs und knapp 2000 Polizisten aus zahlreichen Staaten beteiligt. Die Bundeswehr ist aktuell mit 953 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Doch das Mandat endet am 31. Mai, das der Uno am 30. Juni. Wie weiter? Für die militärischen »Entwicklungshelfer« türmen sich die Probleme.

Mali: Der Konflikt weitet sich aus

Bereits vor Ausbruch von Corona benötigten vier Millionen Malier - so eine Uno-Studie - dringend humanitäre Unterstützung. Das ist jeder fünfte Bürger. Nun wird Corona zweifellos neues Leid bringen, angesichts eines kaum abwehrfähigen Gesundheitswesens, zumeist schlimmer hygienischer Zustände und kaum verfügbaren staatlichen Strukturen. Zudem internationalisiert sich der Mali-Konflikt. Ableger des Islamischen Staates in Afrika schaffen sich Rückzugsräume in Niger und sind dort für MINUSMA unerreichbar. Auch die Elitekräfte der G5-Sahel-Initiative (Mauretanien, Mali, Burkina, Faso, Niger und Tschad) sind nicht imstande, die Terroristen zu stellen. Wenn die Sicherheitslage auch in den nördlichen Regionen Ghanas, Benins und Togos sowie im Nordwesten Nigerias kippt, wird das fatale Auswirkungen auf ganz Westafrika haben, betonen die Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer aktuellen Analyse.

Für die demnächst neu zu fassenden MINUSMA-Mandate von Uno und Bundestag gibt es drei Optionen: Abzug, Fortschreibung des Mandats oder Aufstockung. Wofür man sich auch entscheidet - es ist ein Fehler. Es sei denn, die Politik benennt den neuen Hauptfeind und greift Corona mit aller Macht an. Freilich wäre dafür ein spezielles Hilfskorps besser geeignet als Soldaten. Es müsste mit örtlichen und religiösen Führern sowie verschiedensten bewaffneten Gruppierungen verhandeln, um mit MINUSMA-Unterstützung Personal samt Ausrüstung in entlegene Regionen zu bringen. Gewalt und Terror Humanität entgegenzusetzen, könnte womöglich nicht nur medizinische Wunder bewirken.

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