Schneller höher weiter

Wissenschaftler*innen fordern eine feministische Verkehrspolitik

  • Birthe Berghöfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Durch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus steht derzeit vieles Kopf. So auch das Mobilitätsverhalten vieler Menschen. Statt zur Arbeit und zurück nach Hause zu pendeln, arbeiten viele im Homeoffice. Zunehmend mehr nutzen das Fahrrad. Mobilität beschränkt sich derzeit, sofern möglich, auf kurze Strecken zum Supermarkt oder auf einen Spaziergang im Park. Dabei wird deutlich: Existentielle Bedürfnisse sind nicht der Flug ans andere Ende der Welt, sondern die vielen kurzen Wege und dringenden Erledigungen des Alltags. Stadt- und Verkehrsplaner übersehen das gern.

»Androzentrische Verkehrspolitik«, nennen feministische Wissenschaftler*innen die Politik der letzten Jahrzehnte. Nach dem Motto »Schneller, höher, weiter« gehe es meist darum, Menschen zu ihren Arbeitsplätzen zu transportieren – so schnell wie möglich, denn so wird Wirtschaftswachstum generiert. Alles andere sei untergeordnet. Das sei auch deswegen ein Problem, weil sich Mobilitätsbedürfnisse von Männern und Frauen unterscheiden. Während Männer fast ausschließlich zwischen Arbeit und Zuhause pendeln würden, würden Frauen, durch die ihnen zugeteilte Sorgearbeit, deutlich mehr Wege zurücklegen: Von Zuhause geht es zur Arbeit, aber auch zur Schule oder Kita, dem Supermarkt, dem Sportverein und anderen Freizeitaktivitäten der Kinder. Statistiken zeigen auch, dass Frauen häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind – und damit klimafreundlich. Automobilität hingegen sei männlich dominierte Mobilität, so die Wissenschaftler*innen.

Forderungen nach einer feministischen Verkehrspolitik, die Mobilität als Teil der Alltagsorganisation versteht, gibt es immer mehr. So setzt sich die Initiative fem|mo* – Feministische Mobilitätswende dafür ein, dass die Perspektiven und Bedarfe aller nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen bei der Umsetzung des Berliner Mobilitätsgesetzes berücksichtigt werden. Sie fordern eine »radikal inklusive Mobilitätspolitik«, die die Bedarfe aller berücksichtigt und Selbstverständlichkeiten hinterfragt. Öffentlicher Raum ist für sie – ist für eine feministische Verkehrspolitik – nicht nur Transitzone, sondern Begegnungszone. Laut fem|mo* ist der Aufenthalt im öffentlichen Raum genauso ein Mobilitätsbedürfnis, wie die Fahrt von A nach B.

Der aktuelle Vorrang des Autos und eines möglichst schnell fließenden motorisierten Individualverkehrs lässt sich schnell erklären: »Auf Bundesebene gab es bis heute keine einzige Verkehrsministerin. Auf Landesebene sieht es ein bisschen besser aus, aber ein Großteil der Planungsentscheidungen wird noch immer von Männern* getroffen«, erklärt Julia Dittmann, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen* und Gender von den Grünen in Berlin. Es brauche vielmehr bezahlbaren, flächendeckenden ÖPNV, mit attraktiver Taktung und ohne sexuelle Belästigung. Außerdem ein flächendeckendes und sicheres Radwegenetz sowie Barrierefreiheit. »Sinnvoll wären Gleichstellungsbeauftragte in der Verkehrspolitik. Das Ziel ist ein Gender Mainstreaming: alle Vorhaben und Gesetze sollen auf geschlechterspezifische Auswirkungen geprüft und gegebenenfalls verbessert werden«, so Dittmann. Das Berliner Mobilitätsgesetz von 2018 zeige glücklicherweise eine Trendwende. Dabei gelte, was aus Klimaschutzgründen beschlossen wird, deckt sich meist auch mit feministischen Forderungen an Verkehrs- und Stadtplanung.

Auch die während der Coronakrise veränderte Mobilität biete die Chance, Gegebenheiten, die lange als selbstverständlich galten, zu hinterfragen. »Wenn man anderthalb Meter Abstand halten soll, aber so schon kaum Platz auf den Rad- und Gehwegen ist, dann wird klar, dass da was falsch läuft«, meint Dittmann. Erfreulich seien hingegen die in Berlin schnell und unbürokratisch entstandenen Pop-Up-Bikelanes, bei denen Autospuren kurzerhand umgewidmet wurden. Unklar ist, ob es sich dabei auch um langfristige Maßnahmen handeln kann. Wie der ADAC Berlin-Brandenburg vergangene Woche erklärte, dürfe der temporäre Rückgang des Pkw-, aber auch des Radverkehrs, nicht dazu genutzt werden, dauerhafte Umverteilungen des Verkehrsraumes durchzusetzen. »Der Senat nutzt eine Notsituation aus, um Partikularinteressen zu verfolgen«, kritisierte Verkehrsvorstand Volker Krane.

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