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»Anders. Aber auch spannend«
Kanu-Bundestrainer Arndt Hanisch schreibt nach der Olympiaabsage alle Pläne um und wird zum Seelsorger
Was war Ihr erster Gedanke, als vor einigen Wochen die Olympischen Spiele von Tokio verlegt wurden?
»Oh nee, das Ganze noch mal!« Es hat uns zwar nicht unerwartet getroffen. Jedem war klar, dass das verschoben werden musste. Aber als es dann so kam, ist man auch als Trainer in ein Loch gefallen. Wir standen kurz vor unseren nationalen Sichtungen, in denen die Olympiatickets vergeben werden. Alle Sportler waren zu dem Zeitpunkt wirklich in Topform.
Arndt Hanisch ist leitender Bundestrainer im Kanu-Rennsport. Seit 2016 leitet er in Potsdam das Training der besten Kajakfahrer Deutschlands und führte 2019 sechs von ihnen zu WM-Titeln. Nun muss er seine Schützlinge wegen der Olympiaverschiebung um ein Jahr bei der Stange halten. Mit Oliver Kern sprach der 50-Jährige über ein Motivationsloch, einen neuen Plan und viele Überstunden.
Foto: imago/Camera 4
Dann aber kam die Entscheidung, und somit gab es auch keinen Grund für die Sichtungen. Haben Sie das Training abgebrochen?
Sportler plötzlich auf Null herunterfahren, geht nicht. Sie können dann ganz schnell krank werden. Zumindest die Olympiakader beschäftigen wir seitdem noch zwei-, dreimal in der Woche. Das war auch für den Kopf wichtig, denn es gab viel Redebedarf. Manche Athletinnen wollten nach Olympia in die Familienplanung einsteigen, andere Sportler hatten ein festes Jobangebot für den Herbst 2020. Es gab ganz viele kleine Dinge zu besprechen. Es gab Tage, da haben wir uns zum Training getroffen und bei einem Kaffee nur gequatscht.
Gab es auch Trainer, die nach Tokio 2020 aufhören wollten?
Wir wollten zumindest im Verband unsere Struktur anpassen, und wieder einen Cheftrainer einführen. Manche Kollegen sollten zudem Bundesstützpunktleiter werden. Das haben wir jetzt alles bis nach Olympia 2021 verschoben. Würden wir jetzt etwas ändern, würden die Sportler auf die Barrikaden gehen.
Wie stellten Sie das Training um?
Plötzlich hatten wir für dieses Jahr kein Ziel mehr, von dem wir rückwärts rechnen: Was müssen wir vier Wochen vorher machen und was vier Monate vorher, um dieses Ziel zu erreichen. Auch über den kompletten Vierjahres-Zyklus einer Olympiade planen wir so. Doch auf einmal mussten wir die Leute einfach nur bespaßen. Wir sagten Ihnen: »Ihr dürft nicht aufhören, das ist wichtig für euren Körper.« Aber sie fragten sich schon, wofür sie sich noch aus dem Bett quälen. Auch ich bin oft abends nach Hause gekommen und habe gesagt: »Wofür machst du den Scheiß noch?« Zum Glück kam nach einer Woche der neue Olympiatermin.
Dann hatten Sie wieder ein Ziel zum Zurückrechnen.
So ungefähr, ja. Wir hatten schnell eine neue Jahresplanung, hatten aber noch kein Ziel für 2020. Wir machen uns über Wettkämpfe stark, aber alles war abgesagt. Derzeit hoffen wir, dass Ende September noch eine WM stattfindet oder zumindest ein Weltcup. Darauf haben wir den neuen Plan ausgerichtet und steigen jetzt langsam wieder ins geregelte Training ein.
Wie wichtig ist ein Höhepunkt im vorolympischen Jahr?
Er zeigt Betreuern und Sportlern, ob der Plan funktioniert. Ich gebe mal ein Beispiel: Die Kajak-Herren haben sich in drei Booten für Olympia qualifiziert. Wir dürfen also sechs von ihnen zu Olympia mitnehmen, und alle sechs sind 2019 Weltmeister geworden. Das war die beste Motivation. Es zeigte den Athleten, ihr seid die Besten der Welt. Und es zeigt dem Rest der Welt: An den Deutschen müsst ihr erst mal vorbei.
Jetzt müssen sie aus dem Vierjahres-Zyklus einen Fünf-Jahres-Plan machen.
Das stimmt. Im dritten Jahr werden die Trainingsumfänge erhöht - das war 2019 so. Im olympischen Jahr belassen wir dann den Umfang auf einem hohen Niveau, setzen aber noch Akzente in den Intensitäten. Damit sind wir immer gut gefahren. Jetzt müssen wir sinnvoll noch mal dieselbe Intensität wie 2019 setzen.
Ist das so einfach?
Nein. Wenn wir wirklich Ende September eine Meisterschaft fahren, wäre das sonst genau die Phase, wo wir die Sportler nach der Saison für drei, vier Wochen nach Hause schicken, um zu regenerieren. Diese Pause haben wir jetzt nicht.
Wird an Regenerationszeit gespart?
Nein, aber wir streben eine Mischung aus Regeneration und Trainingseinstieg an. Der Körper holt sich die Regeneration, die er braucht. Lassen wir sie weg, werden die Athleten im Januar oder Februar krank, wo wir das gar nicht mehr wollen.
Hat das alles auch Einfluss auf den nächsten Zyklus, der dann nur drei Jahre lang dauern wird?
Wir werden dann ein Jahr weniger Zeit haben, die schnellsten Bootsbesetzungen zu finden. Aber das Problem haben die anderen Nationen auch. Es wird anders werden. Aber auch spannend. Anders muss ja nicht immer schlecht sein.
Wenn nur Sportler im Olympiakader aufs Wasser durften, konnten auch nicht all Ihre Trainerkollegen arbeiten. Wurden sie auf Kurzarbeit gesetzt?
Beim Deutschen Kanuverband nicht. Ich denke auch auf den unteren Ebenen nicht. Im Grunde machen wir Trainer alle sehr viele Überstunden. Wenn da ein Arbeitgeber mit Kurzarbeit anfängt, fangen die Trainer an, ihre Stunden aufzuschreiben. Spätestens dann zieht jeder Arbeitgeber den Kürzeren. Die anderen Trainer sollten in den vergangenen Wochen Pläne fürs Training daheim aufschreiben oder sich intern fortbilden. Da gibt es viele Kurse, die täglich online besucht werden können.
Also war noch genug zu tun.
Ja. Und jetzt rechnen wir mit Lockerungen. Im Freien dürfen ab Anfang Mai wohl wieder Boote aufs Wasser.
Geisterregatten wird es aber nicht geben, oder?
Nein. Wir verdienen ja kein Geld mit Wettkämpfen wie im Fußball. Wir nehmen keinen Eintritt und sind froh, wenn überhaupt Leute hinkommen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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