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Zauberkasten für Schamanen

Zum Tod von Wolfgang Utzt, dem großen Maskenbildner des Deutschen Theaters in Berlin

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wolfgang Utzt schuf Masken für das Deutsche Theater in Berlin. Die Inszenierungen sind seit vielen Jahren, oft sogar Jahrzehnten abgespielt - aber die Masken sind auf mysteriöse Weise lebendig geblieben. Immer wieder wurden und werden sie ausgestellt. Sie führen offenbar ein magisches Eigenleben. Maske und Ritual, dieser Zusammenhang hat ihn immer aufs Neue beschäftigt. Das Archaische und das Avantgardistische gehören zusammen - und mittels Masken kann der Dialog über die Zeiten hinweg gelingen.

Friedo Solter sagte über Utzt, dieser habe »das Wort von Früher ins Heute« zu bringen vermocht: »Gespräche mit Utzt waren wie aus der ewigen Zeit der Kunstgeschichte.« Wozu jedoch überhaupt Masken auf der Bühne?

Masken sind Mittel der Magie und ein Medium der Selbstdistanzierung gleichermaßen. Erst mit der Maske kommt sichtbar jener Geist ins Spiel, der so gewaltsam die Jahrhunderte durchweht: die Geschichte. Ohne den »Albtraum der Geschichte« zu bannen, so sagte der Literaturwissenschaftler Frank Hörnigk einmal, sei die Geschichte dazu verdammt, wiederaufzuerstehen - als Hamlets Geist. Masken helfen solcherart Wiedergängerei der Geschichte zu verhindern.

Ohne die Maske ist moderne Kunst überhaupt nicht denkbar. Sie ist jenes Elementare, das ursprünglich scheint, ein Anfang, der weit zurückliegt: Und doch ist es auch etwas, mit dem man immer wieder neu anfangen kann. Ursprung und Abstraktion treffen sich in den Masken von Wolfgang Utzt. Nachdem alle Vorstellungen abgespielt sind, was bleibt da von den Masken? Sie sind Zeugen jenes Welttheaters der Geschichte, das auf der kleinen Theaterbühne sein Modell fand: ein Zauberkasten für Schamanen.

In dem Film »Die Zeit ist aus den Fugen« von Christoph Rüter über Heiner Müllers Wendezeit-Inszenierung von »Hamlet/Hamletmaschine« am Deutschen Theater sieht man den Regisseur und seinen Maskenbildner in Müllers Wohnung auf Campingstühlen (!) vor dem Fernseher sitzen und die »Tagesschau« kommentieren. Es scheint für sie nichts Lustigeres gegeben zu haben als die neuen Masken der Macht, Sprachhülsen wie »freiheitlich demokratische Grundordnung« - die Campingstühle wackelten bedenklich unter den sich vor Lachen Schüttelnden.

Utzt wie Müller wussten: Die Zeit der Politik ist eine andere als die der Kunst! Politik wird zum Material der Kunst. Darum braucht man, um Theater zu spielen, auch die Maske. Utzt war bereits 1960 als Praktikant ans Deutsche Theater gekommen - er ist das Bildgedächtnis dieses Hauses, an dem er von 1979 bis 2003 Chefmaskenbildner war. Zu seiner letzten großen Produktion, Dimiter Gotscheffs Regie-Rückkehr ans Haus mit »Tod eines Handlungsreisenden«, besuchte ich ihn in der DT-Maskenbildnerei. Auf seinem Arbeitstisch stapelten sich Bildbände. Gerade war ein Francis Bacon hinzugekommen. »Zu jeder neuen Inszenierung schenke ich mir einen Bildband!«, sagte er. Es müssen über 100 sein bei all den Aufführungen, für die er die Masken am Deutschen Theater schuf.

Die sich mir am tiefsten eingeprägt haben: Danton und Robespierre in Alexander Langs »Dantons Tod« für Christian Grashof in einer Doppelrolle und Zigismund in Friedo Solters »Das Leben ist Traum« für Ulrich Mühe. Gesicht trifft Maske, das heißt: Es wird kompliziert mit der Wahrheit, sie verbirgt sich vor dem allzu schnellen Augenschein. Manchmal bleiben auch die Masken als alleinige Zeugen gescheiterter Inszenierungen, so die von Friedo Solters »Faust - Zweiter Teil« (1983). Alexander Lang und Dieter Mann als Faust und Mephisto - was ist uns da entgangen!

Utzt, der mittels Maske die Tragödien erkennbar machte - und sie damit zugleich bannte, der ein inniges Verhältnis zu den Schauspielern hatte, die er nicht unkenntlich machte, sondern ihnen einen intimen Spielhintergrund für das Gesicht schenkte, ist auch nach seinem Abschied vom Theater ein passioniert-witziger Zeichner geblieben. Um sein hinreißend gemaltes und gedichtetes Kinderbuch »Das Gürteltier kam nachts um vier« in aller Abgründigkeit genießen zu können, muss man wohl schon einiges an Abschieden in sich tragen. Denn die Dissonanz der menschlichen Natur scheint nur dann erträglich, wenn man über sie zu lachen vermag.

Da ist etwa der Löwe, der schon keine Mähne mehr auf dem Kopf hat, eher sich lichtendes Haar. Sein Maul ist weit aufgerissen, er posiert routiniert als wilder Mann. Dazu lesen wir: »Den Löwen hört man furchtbar brüllen, wenn es nicht geht nach seinem Willen.«

Wie viel Witz, wie viel unbändige Fantasie bei einem längst schwer kranken Mann! Seine Finger zitterten oft so stark, dass er das Zeichnen unterbrechen musste. Er lernte, Geduld mit sich zu haben - und machte weiter.

2018 hatte Wolfgang Utzt für sein Lebenswerk den Ehrenpreis des Brandenburger Kunstpreises erhalten. Am vergangenen Samstag ist er nun im Alter von 78 Jahren gestorben.

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