Pflicht mit Schwachstellen

Atemschutzmasken sind jetzt in Verkehrsmitteln und im Handel vorgeschrieben - der Nutzen ist fraglich

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Jetzt sollen Masken doch sinnvoll sein beim Schutz vor dem neuartigen Coronavirus, wohlgemerkt für die Normalverbraucher in der Öffentlichkeit. Besserer Eigenschutz durch Atemschutzmasken in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Einkauf, so lautet das Motto bundesweit. Angeblich tun es auch Schal und Halstuch. Von dringender Empfehlung der Schutzmittel bis hin zur Pflicht - hier wiederum von gar nicht kontrolliert bis gelegentlich sanktioniert - geht die Varianz durch die Bundesländer. Schon diese Vielfalt zeigt, dass sich die Exekutive überhaupt nicht sicher ist, was nun tatsächlich wirkt.

Was gibt es an Evidenz? Die Nachweise über die Nützlichkeit nach zuverlässigen wissenschaftlichen Methoden sind rar, die Einigung über die Anwendung basiert eher auf Meinungen und Übereinkünften. So ist die Wirksamkeit von Masken gegen die Übertragung von Coronaviren bisher nicht in Studien untersucht worden, in denen Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip verschiedenen Gruppen zugeordnet wurden - als ein Kriterium für wissenschaftliche Zuverlässigkeit. Weiterhin ist es unmöglich, solche Studien zu »verblinden« - denn die Probanden wissen ja, ob sie eine Maske tragen oder nicht. In Medikamentenstudien ist eine entsprechende Objektivierung unerlässlich. Zudem müsste man die Probanden mit hustenden und mindestens sprechenden Menschen konfrontieren. Auch gegen die Übertragung von anderen Viren als nur Sars-CoV2 gibt es solche Studien kaum. Die Vergleichbarkeit ist durch verschiedene Maskentypen eingeschränkt, nur ein Teil davon ist standardisiert, der Rest Marke Eigenbau.

Feinstaubmasken werden nach Schutzklassen von FFP 1 bis 3 unterschieden, wobei die Abkürzung für das englische »filtering face piece« steht. FFP3 ist dabei die einzige Maske, die definitiv auch Viren fernhält. Sie sollte eindeutig Fachleuten wie Ärzten und Pflegern in Hochrisikobereichen vorbehalten sein. Oder eben Menschen, die auf Baustellen oder in der Fertigung mit gefährlichen Substanzen arbeiten. Angewendet werden sie in Innenräumen oder im sehr nahen Kontakt mit der Gefahrenquelle. Nach einmaligem Gebrauch werden sie entsorgt.

An dieser Norm wird in Zeiten der Knappheit gerüttelt, allerdings mit einigem Risiko. Denn die Masken können bei Reinigungsprozessen beschädigt und in ihrer Wirkung eingeschränkt werden. Auch hierzu gibt es nur wenige ältere Studien, ansonsten geht es wiederum um Meinungen und Übereinkünfte, wenn zum Beispiel medizinisches Personal angehalten wird, die Utensilien mehrfach oder länger als üblich zu nutzen. Es ist auch angesichts der Gefährdung dieser Personengruppe absolut nicht nachvollziehbar, dass diese Masken von wem auch immer im öffentlichen Raum zum vermeintlichen Selbstschutz getragen werden, schon gar nicht an der frischen Luft.

Zudem gibt es ein besonderes Problem bei den selbstgefertigten Exemplaren: Sie bestehen aus ganz unterschiedlichen Stoffen, darunter Baumwolle, Küchenrolle, Mikrofasertücher oder auch Vliese von Staubsaugerbeuteln. Das Max-Planck-Institut hat einige der Materialien darauf getestet, wie gut sie Partikel unterschiedlicher Größe aus der Luft filtern. Alle seien bei großen Partikeln von fünf Mikrometern und mehr sehr effizient, war das Ergebnis: 90 Prozent oder mehr der Verunreinigungen wurden durch den jeweiligen Stoff aufgehalten. Nach bisherigem Kenntnisstand sind die Tröpfchen, die Coronaviren enthalten, deutlich größer als einige Mikrometer. Das funktioniert also zumindest theoretisch.

Auch in den USA wurde in diesem Jahr die Filterwirkung von 15 verschiedenen Stoffen in einem Laboraufbau untersucht, darunter Baumwolle, Seide, Chiffon und Flanell. Die Filterwirkung für kleinere Salzwassertröpfchen hing vor allem von der Dichte des Stoffes ab. Aber: Aus den Versuchen lassen sich keine neuen und verlässlichen Schlussfolgerungen für selbstgefertigte Masken ableiten.

Es fehlen also Studien unter realen Bedingungen zur Wirksamkeit von Masken gegen die Übertragung von Infektionen. Sicher ist immer noch: Die selbstgefertigten Masken schützen nicht den Träger, sondern seine Kontaktpersonen, falls der Maskennutzer weiß oder befürchtet, dass er bereits infiziert ist. Die eigenen Sprech- und Hustentröpfchen bleiben in der Maske und treffen andere nicht. Andersherum funktioniert das nicht, weil die Eigenbaumasken zum Beispiel nicht dicht schließen.

Außerdem hilft ein Mundschutz dabei, sich nicht ständig ins Gesicht zu fassen und trägt so zur Vermeidung von Schmierinfektionen bei, was in der Grippesaison sinnvoll ist.

Zusätzlich spricht gegen medizinische und technische Masken in der gesunden Bevölkerung, dass hier viel falsch gemacht werden kann. Schon beim Auf- und Absetzen, zumal wenn dies eben häufiger passiert, etwa beim Ein- und Aussteigen aus Bussen und Bahnen. Das Tragen von Masken, so die Kritik von vielen Medizinern an den aktuellen Empfehlungen dazu, führt auch zu einem falschen Sicherheitsgefühl: Der Abstand zu anderen Personen wird nicht mehr eingehalten, die Händehygiene schnell wieder vernachlässigt. Nicht zuletzt spricht gegen den schnellen Verbrauch von industriell gefertigtem Schutz der riesige Müllberg, der dadurch verursacht wird.

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