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Armenspeisung per Lieferdienst
Bundeskabinett billigt Sozialpaket. Oppositionelle fordern mehr Unterstützung für Bedürftige
Die Bundesregierung versucht, in der Coronakrise finanzielle Folgen für Einzelpersonen abzufedern. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) befand zum »Sozialschutz-Paket I«: »Auf den Sozialstaat kann man sich verlassen.« Doch längst nicht alle, die es nötig hätten, profitieren von dem Paket. Ausgerechnet arme Menschen im laufenden Hartz-IV-Bezug müssen in der Krise weiter mit niedrigen Regelsätzen überleben.
Einen Monat nach dem ersten Paket hat die Bundesregierung nun nachgebessert. Am Mittwoch hat sich das Bundeskabinett auf das »Sozialschutz-Paket II« geeinigt. Damit werde »der Rettungs- und Schutzschirm weiter gespannt und der Umfang dieser Leistungen für Unternehmen, Beschäftigte und für Arbeitslose« verbessert, heißt es in der Formulierungshilfe des Gesetzentwurfes, die dem »neuen deutschland« vorliegt.
Zu den Erweiterungen zählt eine Anhebung des Kurzarbeiter*innengeldes nach längerer Bezugsdauer. Das Kurzarbeitsgeld soll - abhängig von der Dauer der Zwangspause - in zwei Stufen ab dem 4. und dem 7. Monat auf bis zu 80 Prozent und für Eltern bis zu 87 Prozent des Lohnausfalls steigen. Auch für viele Erwerbslose, die Arbeitslosengeld I (Alg I) beziehen, verbessert sich die Lage. Wenn ihr Anspruch zwischen Mai und Ende Dezember ausläuft, soll sich die Auszahlung um drei Monate verlängern. Der Vorteil des Alg I ist, dass es sich prozentual nach dem alten Lohn richtet. Damit liegt es in vielen Fällen höher als Hartz IV.
Allerdings spannt sich der Schutzschirm des Sozialschutz-Pakets II erneut nicht über viele der Hartz-IV-Beziehenden aus. Die Einzigen, für die sich die Lage etwas verbessert, sind Grundsicherungsbeziehende mit Kindern in Kita oder Schule. Wenn diese Familien vorher über ihren Bildungsträger ein kostenloses warmes Mittagessen für ihr Kind erhalten haben, sollen sie weiter einmal am Tag warmes Essen bekommen. Diese sollen geliefert werden. Viele Beobachter*innen hatten zuvor mit einer Nachbesserung bei der Regelleistung gerechnet. Heil hatte selbst angekündigt, einen höheren Regelsatz in Coronazeiten prüfen zu wollen. Doch das scheint nun vom Tisch zu sein. Laut Formulierungshilfe soll das Essen für die armen Kinder vom gleichen Caterer stammen, der die Schule oder Kita bekocht hat. Das solle zum gleichen Preis wie zuvor geschehen.
Linksparteichefin Katja Kipping kritisierte gegenüber »nd«, dass das eine »große logistische Herausforderung« sei. Es sei noch unklar, ob diese Lösung in allen Landkreisen funktioniere und zeitnah umgesetzt werden könnte. Die Pläne seien wenig praktikabel. »Am Ende bekommt das eine Kind, das im Hort ist, dann ein Essen zur einen Uhrzeit und das andere, das noch zur Kita geht, ein Essen von einem anderen Anbieter und vielleicht auch noch eine Stunde später.« Der betreuende Elternteil müsse natürlich trotzdem weiter für sich kochen, sagte Kipping.
Auch Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands nannte die Vorhaben »Irrsinn«. »Schulcaterer kochen normalerweise für vielleicht tausend Kinder. Nun sollen sie das Wunderwerk vollbringen, bei gleichen Kosten für viel weniger Personen zu kochen, obwohl der Personalaufwand annähernd gleich bleibt.« Schneider findet: »Das kann nicht funktionieren.«
Gegenüber »nd« erklärt das Arbeitsministerium, warum es auf den Lieferdienstweg setzt: »Ersatzlösungen für das gemeinschaftliche Mittagsessen sind möglichst nah an die bestehenden Versorgungsstrukturen anzulehnen«, sagte ein Sprecher. Eine Erhöhung der Regelsätze würde hingegen »dieses Ziel verfehlen«.
Viele Wohlfahrtsverbände, Nichtregierungsorganisationen, Grüne und Linkspartei beklagen seit Jahren die zu niedrigen Hartz-IV-Regelleistungen. Viele von ihnen fordern wegen der Coronakrise zudem einen Corona-Zuschlag, da gerade jetzt viele Unterstützungsangebote wegfielen und Obst und Gemüse teurer würden.
»Diese Bundesregierung will auf Teufel komm raus nicht den Regelsatz erhöhen. Stattdessen schafft sie lieber neue bürokratische Gesetze«, bilanzierte Kipping. Ähnlich äußerte sich der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Sven Lehmann. »Die Bundesregierung setzt auf Armenspeisung per Lieferdienst statt auf wirksame Maßnahmen gegen Armut. Das ist ein Rückfall in einen Sozialstaat der Nachkriegszeit«, monierte er.
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