1. Mai - digital und auf der Straße

Der DGB demonstrierte im Internet - soziale Bewegungen trafen sich öffentlich

Zum ersten Mal in seiner Geschichte verzichtete der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in diesem Jahr auf die traditionellen Maikundgebungen. Schon vor Wochen hatte der Gewerkschaftsdachverband angekündigt, wegen der Coronapandemie keine öffentlichen Veranstaltungen durchzuführen. Stattdessen wurde eine zentrale Kundgebung als Videostream organisiert.

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann begrüßte dort die Zuschauer und erklärte, wie gut es sei, dass die »Heldinnen und Helden der Arbeit« in der Coronakrise gesehen und wertgeschätzt würden. Doch Wertschätzung alleine reiche nicht aus. Hoffmann forderte »ordentliche Tarifverträge« und »gute Arbeitsbedingungen«. Dafür brauche es starke Gewerkschaften. Der DGB-Chef sprach sich außerdem gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge aus. Die Krise zeige, wie wichtig ein gutes Gesundheitswesen sei. »Solidarisch vor privat« müsse das Motto sein, um die Krise zu überwinden. In dem fast vierstündigen Livevideo gab es außerdem Interviews und Gespräche mit Aktiven aus den Gewerkschaften und Auftritte zahlreicher Musiker. Bis zum 3. Mai wurde das Video fast 90 000 Mal aufgerufen.

Am 1. Mai zu Hause zu bleiben und eine Videokundgebung anzuschauen, das kam für viele Initiativen jedoch nicht in Frage. Antikapitalistische Gruppen aus unterschiedlichen Städten hatten sich zum Beispiel unter dem Motto NichtaufunseremRücken zusammengeschlossen. Den DGB kritisierten sie für den lediglich digitalen Protest. In einem Aufruf heißt es: »Unseren Kampftag kann man nicht absagen«. Anknüpfend an linke Gruppen aus Italien rief die Initiative dazu auf, rote Tücher als »Zeichen der klassenkämpferischen und antikapitalistischen Bewegung« im öffentlichen Raum aufzuhängen. In Leipzig führte die Initiative eine Kundgebung mit 200 Teilnehmern durch. Gefordert wurden unter anderem die Vergesellschaftung der Pharmaindustrie und die Rücküberführung des Gesundheitssystems in die öffentliche Hand.

Auch in anderen Städten gab es Protest auf der Straße. In Wuppertal beispielsweise forderten 20 Autonome bei einer kurzen Kundgebung vor einem Krankenhaus, dieses dem Gesundheitskonzern Helios zu entziehen. Weil die Wuppertaler Autonomen am 1. Mai aber traditionell auf Anmeldungen bei der Polizei verzichten, verschwanden sie nach einem Redebeitrag wieder. Da die Polizei der Autonomen nicht habhaft werden konnte, überwachte sie stattdessen die Räumlichkeiten des Erwerbslosenhilfsvereins »Tacheles«. Im als linksalternativ geltenden Stadtteil Ölberg nahmen die Beamten am Abend fünf Menschen in Gewahrsam.

Weitere Gewahrsamnahmen gab es auch in Hamburg, wo über 300 Menschen auf der Reeperbahn und dem Schanzenviertel versuchten, Demonstrationen durchzuführen. Die Polizei setzte hier Wasserwerfer ein. Der geplante Protest war im Vorfeld wegen des Infektionsschutzes verboten worden.

Die Behörden hatten auch eine Veranstaltung der neonazistischen Kleinstpartei »Die Rechte« untersagt. Die Neonazis hatten für diese und weitere Kundgebungen in Bremen und Braunschweig noch am Freitag das Bundesverfassungsgericht angerufen, dieses lehnte die Beschwerden allerdings ab. Die neonazistische Kleinstpartei »Der Dritte Weg« führte Kundgebungen in Plauen und München durch. In der bayerischen Hauptstadt ging die Polizei gegen einzelne Neonazis vor. Auch Verschwörungstheoretiker protestierten in mehreren Städten gegen pandemiebedingte Regulierungen des Alltags. Meist warnten sie vor Überwachungsmaßnahmen und Impfungen.

Der 1. Mai hat gezeigt, dass auch unter den erschwerten Coronabedingungen Straßenprotest möglich ist. Der geschah an vielen Orten durchaus kreativ und unter Einhaltung der geltenden Hygienemaßnahmen. Beachtenswert war, wie unterschiedlich die Behörden mit den Protesten umgegangen sind.

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