Wer zu riskant angelegt hat, zahlt nun die Zeche

Corona-Finanzkrise

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang April traf sich der studierte Finanzmarktexperte und grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold mit einem Blogger, einer Verbraucherschützerin und dem Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende zu einem »Europe Calling« über Investment-Zertifikate. Das interaktive Online-Format ermöglichte es allen teilnehmenden Zuhörern, Fragen zu stellen und mitzudiskutieren. Solche Telefon-Video-Konferenzen boomen in Corona-Zeiten. Das tun allerdings auch Investment-Zertifikate.

Dahinter verbergen sich komplexe Finanzprodukte mit oftmals unübersichtlichen Kostenstrukturen und erheblichen Risiken für Anlegerinnen und Anleger. Die meisten Zertifikate sind, da waren sich die Fachleute einig, für risikoscheue Sparer völlig ungeeignet. Sie wurden und werden aber trotzdem von Finanzdienstleistern breit unters Publikum gestreut.

Mittlerweile droht eine Neuauflage der Verluste wie in der bisher letzten Finanzkrise vor einem Jahrzehnt bei den Lehman-Zertifikaten. Und mancher Beobachter befürchtet, der nächste Zertifikate-Boom steht bereits vor der Tür: Angesichts taumelnder Börsen und Nullzins-Sparanlagen erscheinen in diesem Frühjahr viele Zertifikate als eine lukrative Alternative für Sparer, die ihr Geld anlegen wollen.

Klassisches Vertriebsprodukt

Zertifikate sind ein klassisches Vertriebsprodukt: Der Kunde hat Geld herumliegen und der Berater empfiehlt, ein Zertifikat zu kaufen. Zertifikate werden meist mit hohen Zinssätzen ausgestattet. 3,2 Prozent Zinsen offeriert zum Beispiel das Zertifikat auf den Euro-Stoxx-Aktienindex, welches eine Sparkasse anbietet.

Zertifikate sind Wertpapiere, deren Preis von der Entwicklung ihrer Basis abhängt. Daher werden sie auch als Derivate bezeichnet. Mit Zertifikaten können Anleger an der Wertentwicklung eines zugrundeliegenden Basiswertes partizipieren, ohne diesen direkt zu erwerben.

Damit unterscheiden sich Zertifikate von Fondsanteilen. Investmentfonds erwerben nämlich »echte« Anteile an dem Basiswert. Als Basiswert können dabei Aktien, Indizes wie der »Euro Stoxx« oder diverse Rohstoffe dienen. Zertifikate sind sogenannte Inhaberschuldverschreibungen. Der Käufer trägt also das volle Insolvenzrisiko der ausgebenden Bank. Geht diese Pleite - wie im damaligen Fall Lehman - ist auch das Zertifikat wertlos.

Das ist aber nicht das einzige Risiko. Denn die Papiere bergen auch die Risiken beispielsweise des Aktienmarktes. Im Falle eines größeren Crashs, wie wir ihn in diesem Frühjahr erleben, drohen erhebliche Verluste für den Anleger. Grundsätzlich sind Zertifikate dennoch nicht allein etwas für Zocker. So gibt es beispielsweise auch Zertifikate mit gedeckelten Risiken.

Tatsächliche Kosten

Und der Preis? Was Zertifikate tatsächlich kosten, lässt sich schwer nachschauen, üblicherweise wird es im »Basisinformationsblatt« versteckt. Dort findet sich dann die Kennziffer »Reduction in Yield«. Sie gibt die wahrscheinlichen Gesamtkosten an, beispielsweise rund 300 Euro auf eine Anlagesumme von 10 000 Euro im ersten Jahr. Solche Kosten von immerhin rund drei Prozent sind sogar noch vergleichsweise günstig. Allerdings verteilen sich diese hohen Kosten auf mehrere Jahre, wenn Sie ein Zertifikat längere Zeit besitzen.

Zertifikate bergen aus Sicht der Anbieter keine unkalkulierbaren Risiken. Banken und Sparkassen, über sie werden die meisten Zertifikate verkauft, tragen kein Kursrisiko. Zertifikate sind nämlich keine Wette »Kunde gegen Bank«, wie häufig angenommen wird. Dafür freuen sich die Geldinstitute über die Provisionen, die sie vom Zertifikateanbieter kassieren. Denn die Zertifikate werden von Spezialisten beispielsweise in der Deka-Bank oder DWS, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bank, entwickelt und über Banken, Sparkassen sowie Fondsanbieter im Internet an Verbraucher verkauft.

Vorteile für Geldinstitute

Aus Sicht der Geldinstitute haben Zertifikate noch einen weiteren Vorteil. Sie laufen oft relativ kurzfristig oder können zwischenzeitlich gekündigt werden. Dadurch entsteht Beratungsbedarf, etwa für eine Neuanlage des Geldes. So sind »Express-Zertifikate« nach einem Jahr fällig. Und schon kann der Bankberater Sie wieder zum Gespräch laden.

Giegolds »Europa Calling« dürfte manchen Zuhörer abgeschreckt haben. Zertifikate sind nur für sehr erfahrene Anleger geeignet, die genau über die Konstruktion des jeweiligen Produkts Bescheid wissen.

Wenn Sie sich dennoch für ein Zertifikat entscheiden möchten, empfiehlt die unabhängige Verbraucherseite »Finanztip« die Suche von finanzen.net. Ausführlichere Produktbeschreibungen erhalten Sie auf onvista.de. Wenn Sie ein Zertifikat ausgewählt haben, raten wir Ihnen, das Wertpapier bei einem Onlinebroker zu kaufen. Das erspart ihnen unnötige Kosten.

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