»Rückfall in migrationspolitische Steinzeit«

In Hessen können Ausländerbeiräte abgeschafft und durch sogenannte Integrationskommissionen ersetzt werden

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Der hessische Landtag hat mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierungsmehrheit eine folgenreiche Änderung der hessischen Gemeindeordnung beschlossen. Nach der Abstimmung des Parlaments, die in der Nacht zum Donnerstag stattfand, können die Kommunen per Optionsmodell die bisherigen demokratisch gewählten Ausländerbeiräte abschaffen und durch von oben einberufene »Integrationskommissionen« ersetzen.

Migrantenvertretungen und Oppositionspolitiker kritisierten dies scharf. So sprach der Landesausländerbeirat (AGAH) von einem »bösen Rückfall in die migrationspolitische Steinzeit« und einem »fatalen Irrweg der massenhaften Entmündigung«. Die Änderung tue einzig und allein den Rechtsradikalen und Demokratiefeinden einen großen Gefallen, erklärte AGAH-Chef Enis Gülegen am Donnerstag. Mit dem Optionsmodell hätten die Kommunen ein leichtes Spiel, kritische und unbequeme Migranten-Vertretungen abzuschaffen. Schwarz-Grün schaffe damit kommunale Kommissionen als Ersatz mit Mitgliedern, die die Gemeinde- und Stadtregierungen selbst auswählen sollen. »Von oben bestimmen, wer genehm ist und wer rein darf, das ist das alte Prinzip von vordemokratischen Gesellschaften«, so der AGAH-Chef. »Wir werden jetzt erst recht für den Erhalt der Beiräte kämpfen«, so Gülegen. Von einem »Tiefpunkt schwarz-grüner Integrationspolitik« sprach die Linke-Abgeordnete Saadet Sönmez. »Der politische Wille der Ausländerbeiräte wird mit Füßen getreten«, sagte Günter Rudolph (SPD).

Ausländerbeiräte sind in Hessen als beratende kommunale Gremien in der Kommunalverfassung verankert und haben eine lange Tradition. Nach der Einwanderung sogenannter Gastarbeiter aus Mittelmeerländern in die BRD der 1960er Jahre wurde der Unmut über ihre politische Rechtlosigkeit laut. Der Ruf nach einem kommunalen Ausländerwahlrecht als Schritt zur vollen politischen Gleichberechtigung fand ein Echo. 1972 wurde in Wiesbaden der erste demokratisch gewählte Ausländerbeirat der Bundesrepublik gegründet. Weitere Gremien entstanden in Bad Homburg, Rüsselsheim, Kassel und Limburg. 1983 gründete sich die AGAH, in der hessenweit 83 Ausländerbeiräte auf Gemeinde- und Kreisebene zusammengeschlossen sind.

EU-Bürger haben bei Kommunalwahlen inzwischen ein aktives und passives Wahlrecht und etliche Migranten sind deutsche Staatsbürger. Trotzdem bemängelte Gülegen, dass sehr viele nach wie vor von einer politischen Gleichberechtigung weit entfernt seien. Umso wichtiger sei es, sie stärker einzubinden und dafür Ideen zu entwickeln. »Das einzige, was Ausländerbeiräte überflüssig machen könnte, ist das gleiche Wahlrecht für alle Deutschen und Migranten - egal aus welchen Ländern«. Aber davon seien »die einstigen grünen Revoluzzer meilenweit entfernt«, so Gülegen in einem Seitenhieb auf die Grünen, die seit 2014 mit der CDU regieren. Sie hatten sich in den 1980ern einen Ruf als Bürgerrechtspartei und Vorkämpfer für Gleichberechtigung aller Migranten erworben, den sie inzwischen eingebüßt haben.

Integrationsminister Kai Klose (Grüne) verteidigt den Beschluss damit, dass die Beiräte künftig Rederecht in Kommunalparlamenten bekämen und die Ausländerbeiratswahl zeitgleich mit den landesweiten Kommunalwahlen stattfinden müssten. Damit seien AGAH-Forderungen erfüllt.

Mit diesem »Bonbon« lässt sich die AGAH nicht abspeisen. Für sie liegt der Knackpunkt beim Optionsmodell, das Bürgermeistern als Türöffner für die Abschaffung lästiger Ausländerbeiräte dienen könne. Wenn die Wirtschaftskrise auf die Kommunalfinanzen durchschlage, wachse die Versuchung, durch Verzicht auf Ausländerbeiratswahlen und Personal zur Unterstützung der Beiräte Ausgaben zu kürzen, warnt die AGAH. Der Verlust des Wahlrechts für Menschen ohne deutschen Pass sei ein Abbau demokratischer Rechte und Integrationskommissionen ohne demokratische Legitimation seien ein Modell aus dem letzten Jahrhundert, kritisierte Gülegen.

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