Abstandsgebot? Schnurzegal!
MEINE SICHT
Wer sich am Wochenende auf Berlins Spielplätzen oder den neuen temporären Spielstraßen in Friedrichshain-Kreuzberg umgesehen hat, durfte feststellen, was nicht anders zu erwarten war: Kindern ist das coronabedingte Abstandsgebot in der Regel schnurzegal, sobald sie von den Erziehungsberechtigten kurz mal aus den Augen gelassen werden. Und es wäre naiv zu glauben, dass ebenjenes Gebot in Kitas und Kindertagespflegeeinrichtungen besser eingehalten werden könnte.
Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass viele Eltern, Erzieherinnen und Erzieher mindestens verunsichert auf die Ankündigung des Senats reagiert haben, die Kinderbetreuung ab Ende dieser Woche ruckzuck und massiv auszuweiten, um möglichst bald eine Versorgungsquote von 70 Prozent zu erreichen.
Die Pläne sind ja redlich. Denn viele Kinder wollen zurück in ihre so lange vermisste Kita-Umgebung, wollen ihre Freundinnen und Freunde wiedersehen. Zugleich haben viele Eltern kaum eine Möglichkeit, sich dem kapitalistischen Verwertungsdruck zu entziehen. Sie müssen wieder vor Ort an ihren Arbeitsplätzen erscheinen. Andere haben längst keine Kraft mehr für Homeoffice mit zeitgleicher Kinderbetreuung. Aber wie so häufig wirkt die Senatsentscheidung, als wäre sie im luftleeren Raum gefällt worden. Die Einhaltung von Abstandsregeln will man durch möglichst kleine Gruppen im Halbtagsbetrieb erreichen. Nur: Wie soll das gehen, angesichts der allzu häufig begrenzen Raumkapazitäten und der absehbaren Personalengpässe? Was ist mit den Eltern, die den ganzen Tag beim Discounter an der Kasse malochen?
Wie bei den Schulöffnungen fährt die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auch bei den Kitas und Kindertagespflegeeinrichtungen den alt-, aber eben nicht bewährten Kurs: Ihr macht das schon irgendwie. Zu Recht fühlen sich die Betroffenen abermals alleingelassen.
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