- Politik
- Coronakrise
»Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben
Max und Moritz analysieren im Chat mit Oliver Kern jede Woche den US-Wahlkampf.
Hallo Moritz, die Arbeitslosigkeit in den USA steigt rapide an und wird wohl auch bei den Wahlen im November ein wichtiges Thema sein. Also lass uns drüber reden. Wie viele Menschen sind durch Corona mittlerweile arbeitslos geworden?
Im Februar lag die offizielle Arbeitslosenquote noch bei 3,6 Prozent. So niedrig war sie seit 1968 nicht mehr. Doch das hat sich jetzt radikal gewandelt. Jede Woche melden Millionen Leute, dass sie ihre Arbeit verloren haben. Aktuell ist die offizielle Quote auf 14,7 Prozent gestiegen. Dabei hat das US-Arbeitsministerium schon zugegeben, all jene nicht mitzuzählen, die angeben, nur vorübergehend keine Arbeit zu haben. Eigentlich sind es also rund 20 Prozent. Seit März haben 33 Millionen Amerikaner ihre Arbeit verloren. Vorher waren es insgesamt »nur« fünf Millionen.
Kann man sich wenigstens auf diese Zahlen jetzt verlassen?
Nein, es gibt wie immer eine Dunkelziffer. Die Daten erfassen nur all jene, die Arbeitslosenhilfe beantragen. Für manche kommt das aber nicht in Frage, weil sie vorher zu kurz gearbeitet haben oder sie illegalisierte Arbeiter ohne Papiere sind. Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass die reale Arbeitslosigkeit schon auf bis zu 25 Prozent gestiegen ist.
Das Arbeitslosengeld wurde zuletzt aufgestockt. Funktioniert die Auszahlung?
Sie hat zumindest gestottert, genau wie die 1200 Dollar Einmalzahlung, die an alle Bürger gehen sollte. Eine Freundin von mir in North Carolina hat ihren Job in einem Restaurant wegen der Coronakrise verloren. Als sie versuchte, Arbeitslosengeld zu beantragen, war die Website tagelang überlastet. Das System ist nicht für diese Masse an Anträgen ausgelegt.
Vielerorts ist das ja auch gewollt. Der republikanische Ex-Gouverneur von Florida, Rick Scott, änderte einst das System so, dass Arbeitslose mit vielen Fragen und immer wieder neu auszufüllenden Anträgen abgeschreckt werden. So spart der Staat Arbeitslosengeld, und der Gouverneur kann prahlen, dass es in Florida weniger Arbeitslose gab. Moritz, vergleich doch mal die Zahlen mit früheren Krisen!
Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2008/2009 lag die Arbeitslosigkeit bei ungefähr zehn Prozent. Da liegen die USA jetzt schon weit drüber. Es dauerte damals sechs bis acht Jahre, um den Jobverlust wieder aufzuholen. Zu Zeiten der großen Rezession der 30er Jahre war die Quote sogar auf 25 Prozent geklettert. Zumindest die Dunkelziffer hat auch das Niveau schon erreicht, und wir wissen nicht, wie lang die Entwicklung noch anhält.
Gibt es schon Prognosen dazu?
Es gibt Schätzungen der Zentralbank, dass es bis zu 30 Prozent Arbeitslosigkeit geben könnte. Schließlich gehen die Leute nicht einfach sofort wieder in Restaurants, Kinos oder Konzerte, selbst wenn die schon bald wieder offen sind, wenn sie Angst haben sich anzustecken. Es wird länger dauern, bis die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, und in der Zeit werden viele Firmen insolvent gehen.
Wessen Wähler trifft es zur Zeit am schlimmsten?
Eher die Basis der Demokraten. Das war 2008/2009 anders, als vermehrt weiße, männliche Arbeiter in Fabriken und auf dem Bau Jobverluste beklagen mussten. Jetzt sind es überproportional viele in Dienstleistungsberufen, dem Tourismus und weiteren Branchen, wo es mehr Frauen und Angehörige von Minderheiten trifft. Im Reisesektor ging knapp die Hälfte aller Jobs verloren, auf dem Bau und in Fabriken nur ungefähr 12 Prozent. Das erklärt auch, warum die Republikaner noch nicht so stark unter Druck stehen, weitreichende Hilfen für Betroffene zu beschließen.
Motiviert das die Wähler der Demokraten noch zusätzlich, im November zu wählen?
Es gibt eine Grundannahme unter Politikwissenschaftlern: Wenn die Wirtschaftslage schlecht ist, werden Präsidenten dafür abgestraft. Das könnte jetzt wieder passieren. Die Krise trifft ja auch wieder viele junge Menschen. 2008/2009 hat sie das radikalisiert, Bewegungen wie Occupy entstanden. Das könnte nun wieder so kommen. Damals wurde Barack Obama zum Präsidenten gewählt. Mal sehen, ob seinem einstigen Vize Joe Biden im November die Wiederholung gelingt.*
Bisherige Folgen von Max & Moritz:
- Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday
- Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat
- Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält
- Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt
- Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen
- Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat
- Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke?
- Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.