Der Untreue auf der Spur

Um eheliche oder geschäftliche Konflikte zu klären, heuert man in Japan einen Privatdetektiv an. Angesichts steigender Scheidungsraten und eines volatilen Arbeitsmarktes wächst die Branche.

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 8 Min.

Damit haben wir ihn!», schnappt der Mann im dunkelblauen Anzug auf und drückt die Pausetaste. «Wenn der Herr hiermit konfrontiert wird, kann er sich vor Gericht das Leugnen gleich sparen.» Ein großer Flachbildschirm im Büro von Naotaka Ikeda zeigt eine Videoaufnahme, auf der ein Mann mit einer Frau ein Stundenhotel verlässt. Zuvor war ebenso zu sehen, wie die zwei das Hotel betraten. In Japan gilt solches Material in Scheidungsprozessen als überzeugendes Beweismittel für Untreue. Ikeda hat seinen Auftrag damit erfüllt.

«Daran haben wir zwei Monate gearbeitet. War anfangs gar nicht so leicht, ihn zu schnappen. Er war relativ diskret.» Aber die fünf Schnüffler, die auf den Fall angesetzt waren, seien eben Profis. «Wir haben eine Erfolgsrate von fast 100 Prozent.» So gut wie immer werde der Verdacht eines Klienten bestätigt, wenn dieser die Privatdetektei Galu mit dem Finden von Beweisen beauftragt, prahlt Naotaka Ikeda. In zwei Drittel der Fälle geht es um Untreue eines Ehepartners, der Rest seien Aufträge von Betrieben zur Mitarbeiterbespitzelung. Vor Vertragsunterzeichnung führt Ikeda immer ein gründliches Klientengespräch, dann wird mittels Kameras, Aufnahmegeräten und viel Geduld gesucht. Das Geschäft läuft wie geschmiert. Selbst Corona wird die Branche mittelfristig nicht aufhalten können.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Agentur Galu von einem kleinen Büro zu einem Detektivfranchise mit gut 700 Ermittlern und 124 Niederlassungen im ganzen Land gewachsen, von dem Naotaka Ikeda die Filiale im zentralen Tokioter Stadtteil Akasaka leitet, wenige Kilometer Luftlinie vom Kaiserpalast entfernt. Und wahrscheinlich auch nur ein paar Häuserblocks vom nächsten Konkurrenten. An die 6000 Detekteien arbeiten in Japan. Allein der Marktführer Galu hatte letztes Jahr ungefähr 8000 Fälle zu erledigen, ein Wachstum von fast 50 Prozent über die vergangenen zehn Jahre. «Der ganzen Branche geht es sehr gut», sagt der adrette, ältere Herr und lässt eine dicke Armbanduhr unter dem Sakkoärmel hervorblitzen.

Überall auf der Welt heuern Menschen mit unterschiedlichen Begehren private Ermittler an. Aber kaum irgendwo ist dieses Phänomen öffentlich so präsent wie in Japan. Hier werben Detekteien mit riesigen Plakaten an Wolkenkratzern, mit Verlinkungen im Internet und Bildern von Schnüffelhunden an der Straße. In Krimis sind sie manchmal mit ihren Unternehmensnamen als Product Placement zu finden. Und obwohl die Detektive nicht gerne mit der Presse sprechen, sagt Naotaka Ikeda entspannt: «Unser Job ist ehrbar. Das weiß man heutzutage.»

Zumindest arbeiten sie im Dienst der Wahrheit. Mit dieser Motivation schmiss Ikeda vor 20 Jahren als 45-Jähriger seinen Job als Büroangestellter in einem mittelständischen Betrieb hin. «Dort war alles so langweilig, und der Kundenkontakt mit anderen Betrieben änderte doch nichts an der Welt.» Seine Kollegen erschraken, als sie von seinem Plan hörten, Detektiv zu werden. «So etwas wurde mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht. Alle fragten mich: Warum ruinierst du dein Leben?» Nur seine Frau habe zu ihm gehalten. Als die Profession des Detektivs im Jahr 2007 zertifiziert und zum Ausbildungsberuf wurde, besserte sich das Image des Gewerbes allmählich.

Jeder hat Geheimnisse

Am liebsten arbeitet Ikeda an Fällen mit dem Schlagwort «uwaki», japanisch für Untreue. «Da merkt man so richtig, wie dunkel unsere Welt ist», sagt er und lehnt sich in seinen Sessel. «Jeder hat Geheimnisse. Man muss nur lange genug suchen.» Ikeda ist der Ansicht, man solle auch ruhig suchen. Und der Pool potenzieller Klienten wächst. Seit Jahrzehnten steigt in Japan die Scheidungsrate, derzeit kommen auf 1000 Personen zwei Scheidungen pro Jahr, doppelt so viele wie noch 1970. Angesichts sich ändernder Geschlechterrollen, zunehmenden Individualismus und eines schwierigen Arbeitsmarktes war die Institution Ehe auch hier noch nie so stark angeschlagen wie heute. Hinzu kommt: Kann man seinem Ehepartner Untreue nachweisen, gibt es in Japan Schmerzensgeld.

Dieser finanzielle Anreiz sowie kulturelle Umstände machen die privaten Ermittler zu gefragten Dienstleistern. In japanischen Beziehungen wird auch bei offensichtlichen Konflikten eine offene Konfrontation oft gemieden. Wer trotzdem Bescheid wissen muss, kommt zu den Detektiven. Und das seien mittlerweile überwiegend Männer. «Heute sind mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt als früher, und am Arbeitsplatz passiert so einiges», berichtet Ikeda. So riechen heute auch viele Ehemänner Affären. Während aber weibliche Klienten meist wenig überrascht wirkten, wenn ihnen die Beweislage für die Untreue ihres Mannes vorgeführt werde, wollten Männer dies oft nicht wahrhaben. «Viele Herren sehen sich irgendwie als überlegen und halten es für unmöglich, dass sie betrogen werden. Oft fließen Tränen.»

Der durchschnittliche Uwaki-Fall dauert einen Monat und kostet ungefähr 100 000 Yen (rund 800 Euro). Die Detektive sind im regelmäßigen Austausch mit dem Klienten, um neue Informationen über das Zielobjekt zu erhalten. Als Updates schicken sie Fotos und Videomitschnitte. Am Ende steht ein rund 100 Seiten langes Protokoll. Ikeda lässt sich von seiner Assistentin ein Exemplar bringen. Ein gebundenes Buch voll mit Farbfotos, Datumsangaben und Ortsbeschreibungen, wie es vor Gericht gegen den Partner des Klienten verwendet werden wird. «Ich wäre nicht gern unser Zielobjekt», sagt Ikeda und blickt zu einem Whiteboard an der Wand. Auf der Ablage prangt seine Detektivlizenz. Darüber heftet ein Werbeplakat der Detektivschule, die Galu seit einigen Jahren auch unterhält. Jeden Monat fangen dort neue 100 Möchtegernermittler eine einjährige Ausbildung an.

Der andere typische Fall in der Branche hat mit Liebe wenig zu tun. Das einst in Japan übliche Arbeitsmarktmodell, nach dem ein Angestellter sein Leben lang im selben Betrieb arbeitet, wird seit Jahren durch flexible und kaum geschützte Jobs ersetzt. Unternehmen wollen seitdem häufiger wissen, ob ihre krankgeschriebenen Arbeiter auch wirklich krank sind, und was ehemalige Mitarbeiter nun mit ihrem betrieblichen Wissen anstellen.

Tomohiro Kamiya, ein Typ mittleren Alters mit locker sitzendem Sakko und unordentlichem Seitenscheitel, kommt gerade von so einem Auftrag. Es ist spät abends, an seinen Tisch in einer Bar in Shinagawa, südlich von Tokios Zentrum, lässt er sich ein Bier bringen. Kamiya sieht erschöpft aus und nicht ganz zufrieden. «Der Fall ist ziemlich kompliziert, und es tut sich nicht viel», sagt er.

Heute beobachtete er einen Programmierer, der kurz zuvor seinen Job gekündigt hatte, sich vermutlich selbstständig machen und den Kundenstamm seines vorigen Arbeitnehmers mitnehmen will. Kamiya soll herausfinden, ob dieser Verdacht dingfest gemacht werden kann. Von morgens um sieben bis um zehn Uhr abends war er dem Zielobjekt auf der Spur, setzte sich einmal tagsüber an den Nebentisch eines Cafés, um ein Gespräch mitzuschneiden. Bisher kam nichts Zwingendes dabei heraus. Nun überlegt Kamiya, wie er noch näher rankommen kann. Für unanständig hält auch Kamiya, der neben seinem Tagesjob Vorsitzender des Berufsverbands der Detektive ist, seine Tätigkeit nicht. «Anfragen zum Stalken lehnen wir ab. Wir heften auch keine GPS-Empfänger an Fahrzeuge oder Taschen, um die Zielobjekte zu orten. Das ist illegal. Und in Häuser schleichen wir uns auch nicht.» Nach kurzem Zögern ergänzt er: «Also, wenn uns der Klient die Erlaubnis gibt, ins Haus zu gehen, dann sehen wir uns dort schon genau um.»

Den Hintern wund sitzen

Dass er für eine bessere Welt voller Wahrheit kämpfe, behauptet Tomohiro Kamiya von sich aber nicht. Auch kein Interesse an James Bond machte aus ihm einen Detektiv, sondern eine Art Erweckungserlebnis. Mit dem Sohn eines Freundes war er Angeln, ein Riesenfisch biss an. Kamiya habe sofort gedacht: «Sachen fangen, das ist was Großartiges!» Um sich auf diese Weise zu verwirklichen, hätte er zur Yakuza gehen können, der japanischen Mafia, aber das wäre ihm ein Schritt zu weit gewesen. Und für eine Karriere als Polizist war der Zug schon abgefahren. Vorher hatte Kamiya sein Geld mit illegalen Spielwetten verdient. Seine Kinder, die von Kamiyas Vergangenheit nichts wissen, geben in der Schule mit ihrem Vater an, weil dieser einen coolen Job habe. «Ich hoffe aber, dass sie später einen anderen Beruf wählen.»

Mit Sherlock Holmes oder Inspector Gadget habe der Alltag nämlich wenig zu tun. «Die meisten Tage sind langweilig. Du sitzt dir den Hintern wund, schläfst beim Warten manchmal ein.» Schießereien gebe es auch nie. Dafür steht Tomohiro Kamiya im Schnitt einmal alle zwei Jahre vor einer Tracht Prügel, nämlich dann, wenn sein Zielobjekt bemerkt, dass es unter Beobachtung steht. «Dieses Jahr sah mich ein Mann im Gebüsch, als er aus einem Love Hotel kam. Er packte mich am Arm und drohte, die Polizei zu rufen, wenn ich nicht alles Material lösche.» Der Detektiv bestand darauf, dies sei nicht sein Material, sondern gehöre der Ehefrau des Zielobjekts. Die habe schließlich dafür bezahlt. Dann knallte es.

Naotaka Ikeda behauptet, solche Misserfolge seien ihm unbekannt. Vielleicht auch deshalb, weil er die Augen verschließt. Auf die Frage, ob er selbst mal untreu gewesen sei, setzt er ein Pokerface auf und fragt zurück: «Einmal?» Mit all seiner Berufserfahrung könne er auch schnell rausfinden, ob seine Frau ein ähnliches Leben führe, und er gibt zu: «Ich frage mich manchmal, ob sie mir treu ist. Aber ich ermittle lieber nicht.» Alles zu wissen, sei doch nicht immer gut.

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