• Berlin
  • Hygiene-Demonstrationen

Rechte Selbstinszenierung vereitelt

Antifaschisten setzten den Hygiene-Demonstrationen ihren Protest entgegen

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Politisch dominieren an diesem Samstag in Berlin-Mitte die Antifaschist*innen. Vor dem Hintergrund der Ausschreitungen zwischen rechten Hooligans und der Polizei am vergangenen Wochenende demonstrieren Hunderte gegen Faschist*innen und Verschwörungstheorien rund um die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus. Am Alexanderplatz und am Rosa-Luxemburg-Platz sind zahlreiche Kundgebungen gegen Antisemitismus und Rassismus angemeldet. Bis zum frühen Abend kommt es nicht zu größeren Ausschreitungen, jedoch immer wieder zu Rangeleien zwischen Rechten und den Polizeikräften. 200 Freiheitsentziehungen meldet die Berliner Polizei bereits gegen 18 Uhr – Tendenz steigend.

Dort wo der sich immer weiter radikalisierende Protest gegen die Corona-Maßnahmen begann, ist es wohl am ruhigsten: Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz demonstrieren heute nur Antifaschist*innen. »Der Rosa-Luxemburg-Platz bleibt links«, sagt Markus Tervooren, Geschäftsführer des Berliner VVN-BdA, vor Ort zu »nd«. Er beteiligt sich nicht das erste Mal an diesen Protesten. »Für uns ist das eine rechte Massenbewegung«, ordnet der Antifaschist die sogenannten Hygiene-Demos ein. Er sieht Parallelen zu Pegida.

Rechte Massen sieht man heute am Alexanderplatz allerdings nicht. Auch dieser wird klar von Gegendemonstrant*innen besetzt. Eine Versammlung richtet das Kultur-Bündnis Reclaim Club Culture (RCC) aus: »Wir wollen einen Gegenpunkt schaffen«, sagt die RCC-Pressesprecherin, die sich Rosa Rave nennt, zu dieser Zeitung. Ihre Kundgebung, welche auf 50 Teilnehmer*innen limitiert ist, richtet sich nicht nur gegen die Verschwörungstheorien. »Solidarität brauchen Viele«, sagt sie in Hinblick auf die desolate Lage der Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Moria. Im Gegensatz zu den Hygiene-Demonstrant*innen vertrete RCC eine wirkliche Kritik an der deutschen Politik ohne antisemitische Stereotypen zu bedienen. Gestört wird ihre Kundgebung allein von der Polizei: »Es ist erstaunlich, wie viel Repression wir erfahren«, kritisiert sie die Beamt*innen. Der Generator des Lautsprecherwagens wurde kurzzeitig beschlagnahmt, Personen haben Platzverweise bekommen. Zudem lasse die Polizei keine Teilnehmer*innen mehr zu der Versammlung, obwohl die Höchstzahl noch nicht erreicht ist.

Auch ein parlamentarisches Auge liegt auf den Ereignissen »Es sind relativ viele Personen auf der Straße«, sagt die anwesende Abgeordnete June Tomiak (Grüne) »nd«. Sie habe nur vereinzelt Rechte gesehen, die Lage sei unübersichtlich. Auch Linken-Politiker Sebastian Schlüsselburg hat auf dem Platz keine rechten Umtriebe bemerkt. Im Angesicht der Versammlungslage stellt er eine Überarbeitung der Eindämmungsverordnung in Aussicht. Am Montag soll im Abgeordnetenhaus über die momentane Obergrenze bei Versammlungen diskutiert werden. Die Regierungsfraktionen möchten diese wohl abschaffen. Dann müssten Versammlungen nur noch Hygienevorschriften einhalten.

Diese werden bei den rechten Protesten weitgehend ignoriert. Da der Rosa-Luxemburg-Platz und der Alexanderplatz von der Polizei abgeriegelt und Linken besetzt sind, weichen viele von ihnen auf das Brandenburger Tor und vor allem die Reichstagswiese aus. Dort verbreitet auch der Koch Attila Hildmann seine Verschwörungstheorien und verharmlost erneut den Nationalsozialismus. Um ihn herum bildet sich hinter Polizeiabsperrungen eine große Menschentraube, die später von der Polizei geräumt wird. Hierbei kommt es zu ersten tumultartigen Szenen. Von der Polizei von der Wiese getrieben machen sich viele Rechte, unter ihnen auch wieder Hooligans und Neonazis, auf den Weg Richtung Alexanderplatz. Am Neptunbrunnen kommt es dort am frühen Abend erneut zu Auseinandersetzungen.

Trotzdem ist die Sicherheitsbehörde zufrieden: »Das Konzept der Polizei ist aufgegangen«, sagt Sprecherin Anja Dierschke zu »nd«. »Es gab keine Flaschenwürfe«, hebt sie das Positive hervor. Die rund tausend Einsatzkräfte seien trotzdem immer wieder angegangen worden. Am Reichstagsgebäude und im Umfeld des Alexanderplatzes sei es des Öfteren zu aggressiver Stimmung gegenüber den Polizeibeamt*innen gekommen. Diese ging weitestgehend von kleinen Gruppen Neonazis aus, die Polizeisprecherin möchte die Angreifer*innen politisch jedoch nicht einordnen.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) wand sich schon am Freitag mit einer Bitte an die Öffentlichkeit: »Lassen Sie sich nicht von Extremisten instrumentalisieren«, sagt er in einem Videostatement. Die Gefahr des Virus sei noch nicht vorbei. Man solle sich nun von Zahlen und Fakten leiten lassen – nicht von »wirren Reden der Verschwörungstheoretiker«. Er verurteilt die Beteiligung von Rechtsextremist*innen und Hooligans an den Demonstrationen: »Das sind Demokratieverächter.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.