Werbung

Betongold an der Dahme

Treptow-Köpenick kommt Bauinvestoren viel weiter entgegen, als dem Bezirk guttut

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»In Grünau wird die ganze Struktur zerstört«, sagt Klaus Jadczak. Der 71-Jährige ist richtig empört. Neuester Aufreger für ihn ist die Baustelle des »Wassersporthotels Regattapark«. 40 Doppelzimmer sollen direkt neben dem seit vielen Jahren leer stehenden ehemaligen Funkhaus Grünau entstehen. Der Leerstand dort liegt unter anderem darin begründet, dass das Bezirksamt zwingend eine wassersportliche Nutzung vorschreibt, wie es der Flächennutzungsplan vorgibt.

»Das Sondergebiet mit der Zweckbestimmung ›Wassersport‹ dient vorwiegend der Unterbringung von Einrichtungen, die mit dem Wassersport in unmittelbarem funktionellen Zusammenhang stehen«, erläutert der zuständige Treptow-Köpenicker Bezirksstadtrat Rainer Hölmer (SPD) auf nd-Anfrage und nennt als Beispiel Bootshäuser. Ausnahmsweise könnten jedoch auch Beherbergungseinrichtungen für Sportler und Besucher errichtet werden. Auf dieser Grundlage wurde 2016 die Baugenehmigung erteilt. »Die zur planungsrechtlichen Beurteilung eingereichte Betriebsbeschreibung sowie die Grundrisse belegen eindeutig die Bewirtschaftung einer Beherbergungseinrichtung«, so Hölmer weiter.

»Das Hotel ist doch eher für besserverdienende Gäste gedacht«, ist für Jadczak klar. »Andere Antragsteller wurden immer abgefertigt, auch der Bezirkssportbund, der eine Unterkunft bauen wollte«, berichtet Jadczak, der seit über 20 Jahren den Grünauer Silvesterlauf organisiert. »Wir brauchen hier etwas Einfaches für Jugendgruppen und Leute mit wenig Geld.«

»Da das Bauvorhaben der geltenden Rechtslage entspricht, ist meine politische Meinung dazu unerheblich. Grundsätzlich aber bin ich daran interessiert, dass Grünau auch weiterhin an seine historische Bedeutung als Wassersportstandort und Ausflugsziel anknüpfen kann. Ein Hotel kann da durchaus eine gute Ergänzung sein«, findet hingegen Baustadtrat Hölmer.

Der große Sündenfall des Bezirksamts findet sich nach Meinung von Beobachtern allerdings etwas über einen Kilometer entfernt, ebenfalls an der Regattastraße. Das Bauprojekt nennt sich »Vitalresidenz Riviera«. »208 barrierefreie Servicewohnungen im Premiumsegment mit großen Service- und Begegnungsflächen« errichtet der Immobilienentwickler Terragon AG in und um die Ruinen der einstigen Ausflugslokale »Riviera« und »Gesellschaftshaus«. Seit 1991 standen beide leer. 2006 kaufte sie eine Investorin aus der Türkei für einen sechsstelligen Betrag und ließ die Gebäude weiter verfallen. Für rund 15 Millionen Euro ging das Ensemble 2017 schließlich an die Terragon, die sich den hohen Kaufpreis mit Baumasse wieder zurückholen will.

»In den Verhandlungen mit dem Bezirk wurde das Projekt immer größer«, berichtet Nils Schultze vom Ortsverein Grünau. Die historischen Bauten werden künftig zwischen mehreren bis zu fünfgeschössigen Klötzen praktisch verschwinden.

»Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Das Grundproblem ist, dass man hier Immobilienspekulation vergoldet hat«, sagt Stefan Förster. Der FDP-Politiker ist Sprecher seiner Fraktion für Bauen, Wohnen und Denkmalschutz im Abgeordnetenhaus und Vorsitzender des Bezirksdenkmalrats Treptow-Köpenick. »Grünau wird systematisch nach oben wachsen«, befürchtet er.

Genehmigt wurde die massive Neubebauung nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches. »Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt«, so die Regelung. »Das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden«, heißt es weiter.

»Wenn man den Paragrafen 34 eng auslegt, passen diese massigen Gebäude gar nicht in die Gegend«, sagt Uwe Doering, Bauexperte der Linksfraktion im Bezirk. »Das Ensemble erschlägt die Siedlungsstruktur des alten Ortskerns«, erklärt er. »Der Bezirk geht in seiner Auslegung der Gesetze eigentlich immer nach dem Bauherren«, so Doering weiter.

»Der Bezirk ist bei der Genehmigung bis an den Rand des Möglichen gegangen«, wird FDP-Politiker Förster deutlicher. »Bezugspunkt dafür waren zwei Häuser, die nicht benachbart waren, sondern für die man auf eine Leiter steigen muss, um sie vom Grundstück aus zu erkennen«, erklärt er. Eine Bauvoranfrage könne nur der anfechten, der sich negativ behandelt fühlt, skizziert Förster das Problem, wenn Bezirk und Investor gemeinsame Sache machen.

Auch bei Denkmalschutzbelangen gibt es keine Eingriffsmöglichkeiten von nicht direkt Beteiligten, beklagt zudem Nils Schultze vom Ortsverein: »Die Grünen können jede Eidechse retten, aber wenn ein Denkmal zerstört wird, machen das Behörden und Eigentümer unter sich aus.«

Beim Ensemble der einstigen Ausflugsgaststätten lag der Schutz der Gebäude schon lange im Argen. Dann kam auch noch das vermutlich durch Brandstiftung ausgelöste Feuer im »Gesellschaftshaus« im Sommer 2019. »Auch da wurde der Bauherr sehr zuvorkommend bedient. Der Statiker des Bauherren sagte, man könne nur abreißen«, berichtet Schultze. »Und weil das noch nicht reichte, wurde mehr abgerissen, als zunächst genehmigt wurde«, ärgert sich der engagierte Bürger. Das Bezirksamt räumte das auch ein, erklärte im August 2019 jedoch nach Prüfung der Unterlagen, »dass das Vorgehen durch den Bauleiter vor Ort fachlich angemessen und berechtigt war«. »Mittlerweile sehen wir das als Problem der Demokratie, wenn der Anschein entsteht, dass eine Behörde weiß, dass sie nicht verklagt werden kann«, gibt Schultze die Meinung des Ortsvereins wieder.

»Stadtrat Hölmer hat sich immer nach dem Motto verhalten, das zu machen, was seine Verwaltung vorschlägt«, kritisiert FDP-Parlamentarier Stefan Förster. Ähnlich sieht das Uwe Doering von der Linksfraktion. »Vor allem auf der Amtsleiterebene wird viel abgeblockt«, so seine Beobachtung. »Es scheint an politischen Entscheidungen zu fehlen.«

»Aus dem Bezirk für Industrie und Sport ist der Bezirk für Wohnen und Wohlhabende geworden«, nennt Schultze das grundsätzliche Problem, das er nach 30 Jahren SPD-Herrschaft über das Bauressort sieht. Die Entscheidungen nicht nur bei »Riviera« und »Gesellschaftshaus« ziehen einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Nicht nur der Umstand, dass die Anwohner sich mehrheitlich den Wiedereinzug von Gastronomie zu verträglichen Preisen gewünscht hätten. »Wenn ich da eine Seniorenwohnung für 3000 Euro vermiete, kann ich mir schon vorstellen, welche Ansprüche die haben. Was an Gastronomie angedacht ist, wird sich an die Mieter richten«, erwartet Uwe Doering von der Linkspartei.

Auch der Uferweg wird nur halböffentlich sein, abends wird er abgesperrt. »Das Projekt ist auch ein großes Problem für den Sport, denn es liegt am Ende der Regattastrecke«, sagt Schultze. »Es wird nicht lange dauern, bis die wohlhabenden Senioren gegen den Lärm klagen werden«, befürchtet er. Eine entsprechende Klage vom gegenüberliegenden Ufer in Wendenschloss hatte schon für Einschränkungen gesorgt. »Es ist skurril, wenn der Sportsenator Andreas Geisel von der SPD darüber nachdenkt, mal wieder Olympia in Berlin zu veranstalten, wenn die erfolgreichste lokale Sportart durch Bezirkspolitik ausgebremst wird«, resümiert Schultze.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -