Werbung

Einsame Rufe aus dem Wald

Genau ein Jahr nach dem emotionalen Aufstieg erlebt Union ein trauriges Remis gegen Mainz

Die kläffenden Polizeihunde wurden anscheinend irgendwann wieder weggesperrt. Vor dem Anpfiff hätte man meinen können, die Alte Försterei sei ein Hochsicherheitsgebiet, so weiträumig wie sie bewacht wurde. Selbst medizinisches Personal und die Hygieneteams vermittelten mit ihren hochgezogenen Gesichtsmasken Gefahr. In der zweiten Halbzeit schallten aber immer mal wieder einsame Rufe aus dem Wald - »Eisern Union« und so. Ein paar Fans hatten es also geschafft, sich zwischen den patrouillierenden Beamten hindurch gut hörbar dem Stadion zu nähern.

Bedrückend war die Atmosphäre am Mittwochabend rund um die Bundesligapartie zwischen dem 1. FC Union Berlin und Mainz 05 in jeder Hinsicht. Aber so ist nun mal das Spiel in Coronazeiten nach dem umstrittenen Konzept der Deutschen Fußball Liga (DFL). Noch trostloser wirkt das aktuelle Geschehen beim Blick zurück. An gleicher Stelle, vor genau einem Jahr, hatte man erleben können, was diesen Sport eigentlich ausmacht: grenzenlose Emotionen, auf den Rängen, auf dem Spielfeld, und alle zusammen. Nach einem torlosen Remis im Relegationsrückspiel gegen den VfB Stuttgart hatte das ganze Stadion den ersten Bundesligaaufstieg des 1. FC Union gefeiert - und ganz Köpenick noch Tage danach.

Auch Abstiegskämpfe können unter normalen Umständen mitreißend sein. Das Unentschieden am Mittwochabend war es nicht. Und das lag ebenso am Fußball auf dem Platz. Einige Auswirkungen von Geisterspielen auf die Profis wurden hier und da deutlich. Die viel beschriebene Testspielatmosphäre führt sicherlich nicht zu erhöhter Konzentration. Unions Manuel Friedrich unterlief in der 13. Minute jedenfalls ein leichter, aber folgenreicher Fehler. Vollkommen unnötig verlor er im Spielaufbau 25 Meter vor dem eigenen Tor den Ball, nach drei Mainzer Ballberührungen besorgte Ridle Baku die Führung für die Gäste. 20 Minuten später führte ein Fehler von Florian Müller zum Ausgleich. Weil der Mainzer Keeper beim Freistoß von Marcus Ingvartsen die Torwartecke freimachte, traf der Offensivspieler aus 20 Metern zum 1:1-Endstand.

Über die ganze Spielzeit hinweg gab es wenig Offensivaktionen, Mainz hatte davon nicht nur mehr, sondern auch die besseren. Die Gäste wirkten zudem beweglicher und schneller als die Berliner Spieler. Insgesamt war das Abstiegsduell des Tabellen-13. gegen den 15. aber mehr Krampf als Kampf. Urs Fischer war dennoch zufrieden. »Das ist ein weiterer Punkt, den wir mitnehmen«, sprach Unions Trainer während der virtuellen Pressekonferenz von der Leinwand ins Stadion. Er sah auch »eine gute Antwort« auf die zuvor erlittene Niederlage bei Hertha BSC. Verdient hatte sich sein Team den Punkt allemal, nachdem Robert Andrich schon drei Minuten vor dem Halbzeitpfiff mit Gelb-Rot vom Platz geschickt worden war. Spielerisch muss sich der Aufsteiger aber noch steigern, um in den verbleibenden sechs Spielen den Klassenerhalt zu sichern. Gleiches gilt für den Gegner.

Ein Vorteil der Geisterspiele könnte sein, dass man die Anweisungen der Trainer versteht. Das war selten der Fall, weil alle ständig durcheinander schrien. Am meisten fiel das Wort »Männer«, immer wieder »Männer« - als gegenseitige Stimulation auf dem Platz, von den Trainerbänken und der Ersatztribüne mit den Wechselspielern. Immerhin, Fußball pur. In der Kreisliga klingt das ja nicht anders.

Eine Befürchtung von Verbandsverantwortlichen oder Politikern war, dass sich Fanmassen vor den Stadien versammeln könnten. Sie tun es bislang nicht. Dafür gibt es von den selben Leuten jetzt Lob. Dass dem eine Vorverurteilung vorausging, nun ja. DFL-Chef Christian Seifert nutzt das jedenfalls, um Einigkeit vorzutäuschen: »Das Gesamtsystem Profifußball hat sich auf ein gemeinsames Verständnis geeinigt.« Die Akzeptanz für die Saisonfortsetzung ist laut vieler Umfragen schon gesellschaftlich nicht sehr hoch. Die organisierten Fans lehnen sie ab. »Aktionen dagegen«, heißt es in Köpenick, blieben aus, um dem eigenen Verein nicht zu schaden. Für einsame Rufe aus dem Wald ist hoffentlich kein Punktabzug vorgesehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.