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«Horror» und «Wahnsinn»
Der Deutsche Fußball-Bund riskiert mit dem Neustart der 3. Liga sehr viel - muss für die Folgen aber keine Verantwortung übernehmen
Nicht die Lautesten bekommen Recht«, tönte DFB-Präsident Fritz Keller am vergangenen Montag, nachdem auf dem Außerordentlichen Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes die Saisonfortsetzung in der 3. Liga endgültig beschlossen wurde. Wenn nach fast dreimonatiger Coronapause und wochenlangem Streit zwischen Verband und Vereinen nun ab diesem Wochenende wieder gespielt wird, ist noch lange nicht alles gut. Fest steht, dass der DFB sein in den eigenen Statuten festgeschriebenes Recht durchgedrückt hat - mit teilweise fragwürdigen Mitteln. »Fairness kann man nicht einklagen, jedenfalls nicht beim DFB«, stellte der Geschäftsführer des FC Carl Zeiss Jena, Chris Förster, resignierend fest.
Verlierer wird es einige geben. Jan Washausen, Kapitän des Halleschen FC, spricht stellvertretend für die Spieler: »Das Pensum, das uns abverlangt wird, ist der Horror. Das ist körperlicher Wahnsinn und auch mental eine Herausforderung.« Um eigene Probleme - vor allem finanzielle mit seinen Vertragspartnern - zu vermeiden, will der DFB die Saison schnellstmöglich beenden. Das heißt: Die elf verbleibenden Spieltage sollen bis zum 4. Juni komplett in englischen Wochen ausgetragen werden. Jenas Trainer René Klingbeil ist fassungslos darüber, dass die Saison ohne eine richtige Vorbereitung innerhalb kürzester Zeit durchgepeitscht werden solle. Gleich mehrere Klubs konnten erst seit dieser Woche wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Gesundheitlich ist das nicht zu verantworten. Und weil andere Vereine schon sehr viel länger trainieren dürfen, ist es auch kein sportlich fairer Wettbewerb mehr. Deshalb kündigte der 1. FC Magdeburg an, »nur unter Vorbehalt« anzutreten.
Acht Vereine hatten sich für einen Saisonabbruch stark gemacht. »Die Moral einiger Drittligisten hat auch etwas mit dem Platz in der Tabelle zu tun«, ätzte Fritz Keller. Welche Wertvorstellungen das Handeln des DFB bestimmen, hat die Vergangenheit oft genug beweisen. Die Entscheidung vom Montag lobte der Präsident als gelebte Demokratie. Dass sie in der Mehrheit per Abstimmung von den Delegierten der vom DFB abhängigen Regional- und Landesverbände getroffen wurde, ist nur ein Makel. Erheblich schwerere Vorwürfe musste sich der Verband in den Wochen davor gefallen lassen.
»Aus meiner Sicht haben die Aussagen des Verbandes gegenüber den Vereinen einen erpresserischen Anstrich«, sagte der Leiter des Pandemiestabes der Stadt Jena, Benjamin Koppe (CDU). Andere Landespolitiker berichteten von Drohungen bis hin zum Lizenzentzug. Die gesellschaftliche Verantwortung des Verbandes während der Pandemie beurteilte Thüringens Minister für Bildung, Jugend und Sport, Helmut Holter (Linke), wie folgt: »Sport und Politik müssen ein abgestimmtes Konzept verfolgten. Das ist mit dem DFB leider nicht möglich.«
Beim Blick auf die Tabelle ist tatsächlich zu sehen, dass die einen Abbruch befürwortenden Vereine fast alle tief im Abstiegskampf stecken. Andererseits votierten auch jene Klubs für eine Saisonfortsetzung, die sich noch Hoffnungen auf einen Aufstieg machen - um lieber heute als morgen der 3. Liga zu entkommen. Seit ihrem Start im Jahr 2008 wird die höchste Spielklasse des DFB als Pleiteliga verspottet: Zu hohe Auflagen und Anforderungen, zu wenig Ertrag. Kurz vor der Abstimmung am Montag über die Saisonfortsetzung lockte der Verband mit Gründung der »Task Force Wirtschaftliche Stabilität 3. Liga«. Um sich intensiv mit dieser Liga zu befassen, wie DFB-Vizepräsident Rainer Koch versprach.
Von Worten konnte sich noch niemand etwas kaufen. Und der Glaube daran scheint auch nicht weit verbreitet. Deshalb warf der FSV Zwickau dem DFB erneut einen »ignoranten Umgang« mit den Sorgen der Vereine vor. Die Geisterspiele würden »aufgrund zusätzlicher Kosten und infolge des Wegfalls von geplanten Zuschauereinnahmen finanzielle Verluste in Höhe eines mittleren sechsstelligen Eurobetrages verursachen«. Neben der Betonung der gesundheitlichen und gesellschaftlichen Verantwortung hatten die Befürworter eines Saisonabbruchs auch immer vor folgenschweren finanziellen Schäden gewarnt. Der DFB sieht darin kein Problem und änderte kurzerhand die Richtlinien für die 3. Liga: Insolvenz? Genehmigt! Ohne Bestrafung.
Die mit dem Neustart verbundenen Risiken sind groß, die Folgen auf Jahre hinaus unabsehbar. Aber auch da hat sich der DFB etwas einfallen lassen. Und zwar: Antrag Nummer 1 auf dem Bundestag. Antragsteller war das Präsidium des Verbandes. Der Inhalt: »Haftungsbeschränkungen für die gesetzlichen Vertreter und sonstigen Organ- und Ausschussmitglieder des DFB e.V. für Entscheidungen aus Anlass der Corona-Pandemie.« Hundertprozentige Zustimmung: Mit 236 JA-Stimmen wurden die Verantwortlichen für ihr Handeln und dessen Konsequenzen schon weit im voraus entlastet. Oder wie es DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius so schön formulierte: »Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen.«
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