• Politik
  • Chinas Verhältnis zur Welt

Nicht Peking ist der Bösewicht

Mit konfuzianischem Pragmatismus hat sich China zur Weltmacht entwickelt - und verteidigt seine Interessen

  • Uwe Behrens
  • Lesedauer: 7 Min.

China hat das Unverschämte geschafft, nach fast zwei Jahrhunderten Niedergang und imperialistischen Erniedrigungen ohne westliche, liberale Demokratie, sogar unter einer kommunistischen Regierung ein Volk von 1,4 Milliarden Menschen aus der Armut zu heben und einen bescheidenen Wohlstand für alle anzubieten. Das ist in den Augen der früheren Kolonialmächte England, Frankreich, USA, aber auch Deutschlands genau so schlimm, wie etwa Ölvorkommen zu verstaatlichen und ihren Nutzen dem eigenen Volk zur Verfügung zu stellen. Denken wir an den Iran 1953, an den Irak 2003 oder an Libyen 2014, an Syrien und Venezuela.

Die chinesische Führung hat die weltpolitischen und ökonomischen Gegebenheiten in den 60er Jahren zu ihrem Vorteil genutzt - typische chinesischer, konfuzianischer Pragmatismus. Als die USA in Asien einen Verbündeten gegen die Sowjetunion brauchten, hat China die Chance genutzt, die Annäherung seitens der USA anzunehmen, um international akzeptiert zu werden. Als das freie Kapital neue, bessere Verwertungsmöglichkeiten suchte, hat China die Chance ergriffen, Millionen billige Arbeitskräfte angeboten - um diesen mehr als nur eine Schüssel Reis zum Leben zu sichern.

Zum Autor und zum Weiterlesen

Uwe Behrens, Jahrgang 1944, ist promovierter Transportökonom. Er arbeitete im DDR-Verkehrswesen. Von 1990 bis 2017 lebte und arbeitete er in China. Zunächst war er für eine deutsche Speditionsfirma tätig, dann war er – ebenfalls in der Transportbranche – bei einem deutsch-chinesischen und bei einem französisch-indischen Gemeinschaftsunternehmen beschäftigt. In der Publikationsreihe »Pankower Vorträge« des Bildungsvereins »Helle Panke« erschien in diesem Jahr seine Broschüre »Harmonie statt Missionieren« über die Neue-Seidenstraße-Initiative Chinas. Einen Vortrag von ihm über das Seidenstraßen-Projekt kann man hier hören unter.

Mit diesem Beitrag reagiert Uwe Behrens auf den Artikel »Es genügt nicht, Gegner der USA zu sein« (»nd« vom 22. 5., S. 15), der wiederum eine Reaktion auf Hans Modrows Text »Das Gerede von der chinesischen Seuche« war  (»nd« vom 12. 5. 2020, S. 15).

»nd« wird die Debatte über die politische und wirtschaftliche Entwicklung Chinas, über die internationale Auseinandersetzung damit und über linke Perspektiven weiterführen.

Als die Hightech-Industrie geschickte, fleißige und lernbegierige Arbeiter an Fließbändern brauchte, hat China die Chance genutzt die eigene Jugend auszubilden und vorzubereiten auf ein neues Zeitalter - ja, es hat kopiert und gelernt, wie es in den vorigen Jahrhunderten Amerika, Deutschland oder Japan taten.

China hat sich auf Grund dieses Pragmatismus ziemlich schnell entwickelt und sich nicht durch Handel zu westlicher, neoliberaler Demokratie gewandelt. Andere südliche Schwellenländer haben das mit Interesse beobachtet.

Allein diese Tatsache - die schnelle Wohlstandsentwicklung und die mögliche Beispielwirkung - ist für das Kapital in den USA und anderen westlichen Demokratien Herausforderung und Provokation genug, um die Entwicklung in China infrage zu stellen, sie zu verunglimpfen, der chinesischen Führung diktatorisches Regieren und imperialistisches Agieren etwa im Rahmen der Neuen Seidenstraße vorzuwerfen. Es ist richtig, China ist eine geostrategische Herausforderung für die USA - aber nicht, weil etwa China vor der Küste der USA seine Werte verteidigen wollte, sondern im Gegenteil: weil es die eigenen Küsten, Grenzen und Handelswege sichern und verteidigen will.

China ist im Interesse der eigenen Wohlstandsentwicklung auf internationalen Handel, internationale Kooperation angewiesen. Es braucht sichere Handelswege, die aber wegen seiner geografischen Lage und des vor allem auf die Schifffahrt ausgerichteten Handels durch gefährdete Regionen führen - die Straße von Malakka, die Südspitze des Indischen Subkontinents oder das Horn von Afrika.

Als Transportmanager in China 1990 konnte ich persönlich erleben, welche Auswirkungen die Sperrung des Suezkanals während des zweiten Golfkriegs für China hatte. Der Handel war sofort behindert, die Transportpreise stiegen. Zu dieser Zeit war China international noch nicht so verflochten wie heute, weshalb die negativen Effekte noch nicht so dramatisch waren.

Es ist für China meines Erachtens legitim und erforderlich, seine Handelswege auf See mit einer starken Marine und schwimmenden oder festen Flugzeugträgern zu sichern. Während der die internationale Schifffahrt gefährdenden Piratenaktivitäten am Horn von Afrika wurden selbst aus den USA die Rufe nach einer größeren Präsenz Chinas zur Bekämpfung der Piratengefahr laut. Heute hat China seinen einzigen militärischen Außenposten gemeinsam mit den USA und anderen Schifffahrtsnationen in Djibouti am Horn von Afrika.

Aber China braucht auch alternative Handelswege: die Eisenbahnen durch Kasachstan und Russland nach Europa oder durch Myanmar/Vietnam, Thailand, Malaysia nach Singapur oder den Karakoram-Highway nach Pakistan. Gleiches gilt für die Pipelines von Russland, Zentralasien oder Pakistan nach China. Diese Eisenbahnlinien, Straßen oder Pipelines gehören nicht China und werden auch nicht durch China kontrolliert. China hat allerdings kommerzielle Kredite für den Bau bzw. Ausbau gewährt.

Seit Beginn des neuen Jahrtausends sieht sich China immer mehr Handelshindernissen ausgesetzt. Erst wurden Subventionen der staatseigenen Unternehmen kritisiert, dann wurden Dumpingvorwürfe laut, dann Import- oder Exportverbote ausgesprochen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten diese Handelshindernisse mit den Restriktionen gegenüber dem Elektronikkonzern Huawei und der Ausweisung chinesischer Wissenschaftler aus den USA.

Was kann Peking also Besseres tun, als sich neue, unabhängige Handelspartner zu suchen - in Russland, in Zentralasien, in Südostasien und Afrika. Mag das nicht eine Erklärung für die Belt-&-Road-Initiative sein, als das Projekt Neue Seidenstraße?

In all den Jahren, die ich in China gelebt habe, von 1990 bis 2017, konnte ich aus meinen Heimat-News immer wieder vernehmen, dass China eine harte Landung erleben werde, dass die kommunistischen Prinzlinge das Land ausbeuteten und sich bereicherten, dass es einer demokratischen Bewegung bedürfe, um das Land von den kommunistischen Herren zu befreien - und seien es religiöse Bewegungen wie die Falun Gong.

Derartige Behauptungen wurden auch per Medien, etwa Internet in Mandarin, innerhalb Chinas verbreitet. Das führte unter anderem dazu, dass China als Schutz eine digitale Firewall aufbaute und Google und andere US-amerikanische Medien verbannte. Dies auch als Lehre aus den so genannten Farb-Revolutionen, die immer nur im Interesse des ausländischen Kapitals erfolgreich waren. Bestes Beispiel ist die Ukraine. Dabei braucht man gar nicht den Arabischen Frühling erwähnen, der eine ganze Region in Brand setzte und Hunderttausende Menschen das Leben kostete.

China hat eine digitale Firewall, China kontrolliert die Medien und die öffentliche Meinungsbildung. Das ist nicht gut und widerspricht den westlichen Werten von Freiheit. Aber in China lebten vor 70 Jahren noch 85 Prozent der Bevölkerung als relativ ungebildete Bauern auf unterentwickeltem Land. Die Lebenserwartung lag bei etwa 45 Jahren, rund 80 Prozent der Bevölkerung waren Analphabeten. In ganz China nur 21 000 Menschen mit höherer Schulbildung, die Schulpflicht wurde erst 1986 eingeführt.

In diesen 70 Jahren allerdings ist China zur zweitgrößten Volkswirtschaft angewachsen, es verfügt über gewaltige ökonomische Kraft und übernahm Verantwortung in der Welt. Diese Verantwortung muss durch das chinesische Volk getragen werden. Vor nunmehr 30 Jahren, als ich nach China zog, war ich überzeugt, dass das chinesische Volk es noch nicht könne. In diesen 27 Jahren in China habe ich gelernt, dass es zunehmend in der Lage ist, diese Verantwortung zu tragen - allerdings noch immer mit Einschränkungen, auch für die individuellen Freiheiten.

Die westeuropäischen Länder haben seit der Französischen Revolution, also seit weit mehr als 200 Jahren, damit zu tun gehabt, sich zu dem heutigen Niveau der zivilen Demokratie zu entwickeln. Sollte man nicht China zuerkennen, den eigenen, zeitlich kürzeren, aber schwereren Weg zu gehen, eine den Menschen in China gerechte Demokratie zu entwickeln?

Und da sind wir bei Corona. Ja, die lokale Administration in Wuhan hat die Gefährlichkeit des Virus nicht erkannt, sogar heruntergespielt. Das war fahrlässig und schlimm, aber kein Verbrechen. Dann aber hat die Zentralregierung pragmatisch und drastisch eingegriffen, wie es nur in China mit seiner leidensfähigen Bevölkerung möglich war. Man hat eine weitere Verbreitung des Virus im Land zum Schutz der Bevölkerung verhindert und die internationale Verbreitung stark abgemildert.

Der von der chinesischen Regierung - oder sagen wir es mit den Worten des Mainstreams: der kommunistischen Herrscher - verordnete Lockdown sollte nicht als autoritäre, freiheitseinschränkende Maßnahme angeprangert werden, sondern als für die gegebenen Verhältnisse notwendige Einschränkung angesehen werden. Natürlich ist das nicht anwendbar in Ländern, die schon seit über 200 Jahre eine Demokratie mehr oder weniger erfolgreich aufgebaut haben, aber passend für China. Wir können der chinesischen Bevölkerung, insbesondere der in Wuhan, und der chinesischen Regierung nur dankbar sein, dass sie dieser Herausforderung erfolgreich begegnet sind.

Die US-Administration, besonders Präsident Donald Trump, sollte nicht in der chinesischen Führung die Bösewichte sehen, sondern sich selbst fragen, warum die arme, schwarze Bevölkerung in den USA von der Corona-Pandemie besonders betroffen ist. Die Regierungen in den europäischen westlichen Ländern haben Wochen benötigt, um zu erkennen, wie gefährlich das Virus auch für die eigenen Länder werden kann. Dann haben sie richtig und den Verhältnissen angepasst gehandelt. Sollte man nicht das Gleiche auch China zubilligen?

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