Klassenkampf statt Aluhut

Sich an den Corona-Demonstrationen abzuarbeiten ist nicht genug - es braucht solidarische Alternativen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die fortschreitende Lockerung der Pandemiemaßnahmen in Deutschland ermöglicht, ein kurzen Blick auf die jüngsten linken Krisenreaktionen zu werfen. Wo lag der Fokus, was ging verloren?

Einerseits: Viele Aktivisten haben sich in der Nachbarschaftshilfe eingebracht. Dieser an sich sinnvolle Einsatz bleibt jedoch bisher trotz seiner Notwendigkeit in seiner Wirkung offenbar überschaubar. Es gab unter Einschränkungen engagierte Proteste für die Evakuierung der griechischen Elendslager, Aktionen gegen Rheinmetall, das Kohlekraftwerk Datteln 4 sowie für die Erntearbeiter in Bornheim.

Andererseits: Das Zeitfenster für einen »solidarischen Lockdown« konnte kaum genutzt werden. Die Bedingungen gab die herrschende Klasse vor. Die Geschwindigkeit der Ereignisse, die realen Gefahren einer Ansteckung wie auch die Versammlungsverbote sorgten vielerorts für eine Schockstarre - das Handeln des Staates erhielt mehr Vertrauen als die eigenen Fähigkeiten. In Zeiten der Pandemie ist diese Reaktion sicher verständlich; aber ist sie alternativlos?

Mit dem Aufkommen der rechtsoffenen »Hygiene-Demos« gab es dann ein neues Betätigungsfeld. Organisierte Linke nahmen an den Protesten nicht teil, vielmehr kam es in vielen Städten zu antifaschistischer Gegenwehr. Einzelne Linke eröffneten nichtsdestotrotz die Debatte, ob man nicht stärker in die Bewegung intervenieren müsse - schließlich berufe man sich dort trotz reaktionärer Teilnehmer auf Bürgerrechte. Dabei wurde beispielsweise auf den heterogenen Charakter der Hartz-IV-Demonstrationen von 2003/2004 verwiesen. Dort hätten Rechte, Antisemiten und Verschwörungstheoretiker ebenso teilgenommen. Dennoch sei es für Linke eine Pflicht gewesen, sich diesen Kundgebungen anzuschließen.

Diese Argumentation ist problematisch. Eine organisierte Linke muss schließlich reflektieren, unter welchen Bedingungen ein Eingreifen in eine Bewegung sinnvoll ist. Fragen wären: Was ist die inhaltliche Klammer der Proteste? Wie sind die politischen Kräfteverhältnisse bei den Demos? Welche gesellschaftlichen Klassen und Milieus haben sich hier versammelt? Und welche Bündnisse streben sie an? Die Hartz-IV-Proteste - wie auch die Proteste der Gelbwesten in Frankreich - waren im Kern ein Aufbegehren gegen soziale Ungerechtigkeiten. Die Corona-Demos dagegen sind im Kern wissenschaftsfeindlich und egoistisch. Der Freiheits- und Bürgerrechtebegriff der Teilnehmer ist nicht solidarisch. Die Rechte der Geflüchteten in den Lagern sind ihnen egal, auch die medizinischen Risikogruppen. Sie wollen eigene Freiheiten gegen die Gemeinschaft ausleben. Kapitalisten freut’s - auch sie fordern schnelle Lockerungen.

Aber ist es nun im Umkehrschluss sinnvoll, alle Energie in die Abwehr der »Rebellen« zu stecken? An ihrer Bedeutung gemessen wohl nicht. Antifaschistische Begleitung bleibt notwendig, doch sollte dabei nicht vergessen werden: Das beste Mittel gegen Verschwörungstheorien bleibt Klassenkampf. Eine gut organisierte Klasse kann sich in Krisenzeiten nicht nur besser selbst schützen, ideologisch wie praktisch, sondern auch die Bedingungen der staatlichen Pandemiebearbeitung beeinflussen. Das Engagement der Basisgewerkschaft FAU für die Erntearbeiter in Bornheim war in dieser Hinsicht vorbildlich - die Solidarität der restlichen Linken blieb jedoch gering.

Zudem gab es kaum Aktionen für die Arbeiter in den Fleischfabriken, im Handel oder in der Pflege, die in den letzten Monaten »den Laden am Laufen« hielten. Warum fand man kaum Formen, um Unterstützung zu leisten? Aus der vielfach von Linken geteilten Kritik am symbolischen Applaus für die »Helden der Krise« erwuchs nichts. Hat man ihre Kämpfe längst den großen Gewerkschaften »überlassen«? Oder verfügt man über zu wenige Verbindungen zu ihnen? Die Ausgebeuteten in den »systemrelevanten Berufen« sollten nicht weniger wichtig sein als die »Wutbürger« auf den Corona-Demos.

Die harten Zeiten sind noch nicht vorbei. Staaten und Unternehmen werden bald anfangen, die horrenden Corona-Kosten auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Eine neue schwere Wirtschaftskrise wird kommen. Themen wie die Verknüpfung von kapitalistischer Ausbeutung und Rassismus stehen nicht zuletzt wegen des Aufstandes in den USA auf der Tagesordnung. Eine gesellschaftliche Linke, die in dieser Lage Kämpfe wie jenen in Bornheim missachtet, macht sich überflüssig.

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