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Die Zerstörung von Streeck und Kekulé
Nicht nur »die Medien« untergraben in der Coronakrise die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft.
Shirts mit der Aufschrift »Team Drosten« gibt es längst. Bildtäfelchen der »Drosten Ultras« kursieren im Netz - und der lakonische Satz, mit dem der Berliner Virologe jüngst eine konfrontative Anfrage der »Bild« öffentlich abschmetterte, könnte in jene Sammlungen von Corona-Memorabilia eingehen, die verschiedene Geschichtsmuseen schon jetzt anlegen: »Ich habe Besseres zu tun.«
Eine Art Kult um Christian Drosten gibt es schon länger. Dieser Tage aber überschreitet der Charité-Professor die Schwelle von der Ironie zum Ernst. Besagte Leibchen sind »gut gemeint«, markieren aber den Tiefpunkt jener Zwangsbeziehung, in die Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung im März gedrängt wurden. Das sollte auch der Verherrlichte so sehen. Ist doch diese Personifikation im Kern gerade das Gegenteil jener Haltung von »Rationalität« und »Wissenschaftlichkeit«, die Drosten zu seiner Marke gemacht hat und der die Shirts ein Denkmal setzen sollen - sie ist eine Radikalisierung der »Verkürzung« wissenschaftlicher Aussagen durch »die Medien«, die Drosten zu Beginn der Pandemie beklagte. Die überfordernde Situation, dass komplexe, oft widersprüchliche bio- oder sozialmedizinische Untersuchungen direkte Auswirkungen auf ihr Leben haben, lösen Menschen in einer Sympathieentscheidung auf: Dieser Kekulé, der nervt doch langsam. Streeck, ist der denn seriös? Drosten aber, der ist so klug und souverän - so dürfte die Skala aussehen, in die Deutschland seine prominentesten Corona-Gesichter einordnet.
Nun hat Christian Drosten gewiss auch »Besseres zu tun«, als sich zum »Team Drosten« zu äußern - wie sehr ihm jene Fankultur schmeichelt, das weiß man nicht. Auffallen muss aber, dass nicht zuletzt seine Kommunikation jene sachferne Glaubwürdigkeitshierarchie aufzurichten geholfen hat. Denn in beiden der bisher zwei Fälle, in denen wissenschaftliche Papiere unmittelbar auf politische Optionen bezogen und entsprechend intensiv diskutiert wurden, überschritt er die Grenzen des Fachlichen und überzog die anderen im Virologenbunde mit persönlichen Zuschreibungen.
Das betrifft zum einen Hendrik Streeck. Im Zusammenhang mit dessen sogenannter Heinsberg-Studie, die Nordrhein-Westfalens Landesregierung Ende April auch als Grundlage für die Öffnung von Geschäften gedient hatte, ließ Drosten im Interview mit der »Süddeutschen« nicht weniger als einen offenen Betrugsvorwurf im Raum stehen: Er sprach von einer »Botschaft, die man sich kaufen konnte«. Obwohl er die Studie wenige Sätze zuvor als »an sich seriös« bezeichnet hatte, beeinflusst der vielfach verbreitete Halbsatz das Standing Streecks bis heute.
Der zweite, jüngere Fall betrifft jene Untersuchung zur Infektiosität von Kindern, die unter Drostens Ägide Ende April veröffentlicht wurde. Schon kurz darauf hatte der Wissenschaftsredakteur und promovierte Mediziner Jakob Simmank in der »Zeit« über erhebliche fachliche Zweifel an dieser Studie berichtet. Drosten ging darauf nicht öffentlich ein, bis sich Wochen später die »Bild« das Thema griff - und Alexander Kekulé diese Kritik im »Tagesspiegel« erläuterte. Als »tendenziös« brandmarkte Drosten nun nicht nur die Boulevardisierung jener Einsprüche, sondern auch den Text von Kekulé. Dieser, twitterte er, mache nur »Stimmung«. Und dann folgte ein zweiter, umgehend »viraler« Drosten-Satz zum Virologenstreit: »Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erst mal etwas publizieren.«
Boom! Das saß! Gut gegeben! Nicht nur »das Netz«, das seine Zuneigung anhand ästhetischer Kriterien wie »cool« und »uncool« verteilt, mag ein solches Wording. Auch »die Medien« reihten sich nun - zumindest in der Front gegen »Bild« - überwiegend ins »Team Drosten« ein. In extenso wurde man plötzlich darüber belehrt, dass Kritik zur Wissenschaft gehöre und solche »Attacken« nicht rechtfertige. Dennoch kritisiert jetzt mit spürbarem Bezug auf diese Causa die Gesellschaft für Virologie (GfV), dass »Teile der deutschen Presse sowie einige wenige Diskutanten auf öffentlichen Internetforen« die »sachliche Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern« benutzten, »um persönlich erscheinende Konflikte« auszubeuten.
Medienschelte ist oft berechtigt, manchmal aber auch wohlfeil: Wenn schon einer wie Christian Drosten öffentlich suggeriert, es gebe da Wissenschaftler, die zu faul zum Forschen seien und dennoch »Stimmung machen« wollten oder die man sogar kaufen könne, kommt jene schädliche »Personalisierung« kaum nur aus »der Presse«.
Etwas lernen müsste aus der Zerstörung des fiesen Kekulé und des flatterhaften Streeck durch den netten Dr. Drosten vor allem dessen Fanbasis: Im Sinne der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft sollte man plötzlich berühmtes Kathederpersonal, das sich seinerseits mit Medien und Öffentlichkeit nicht sonderlich auskennt, tunlichst nicht durch massenhaftes Abfeiern derart emotional entgleister Tweets noch weiter zum Jagen tragen. Doch ist es fraglich, ob es zu diesem Lernschritt kommt. Denn kollateral liefert jene emotionale Lagerbildung um den jeweiligen Lieblingsforscher abermals die Erkenntnis, dass die liberaldemokratische Idee des rational sein Geschick lenkenden Bürgers sehr weitgehend eine Fiktion ist.
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