Eine Eilmeldung

Freiburg hat den Klassenerhalt geschafft. Wundert Sie nicht? Geht leider vielen so. Dabei hätte die Branche kein solches Legitimitätsproblem, wenn alle so arbeiten würden wie der Sportclub, glaubt Christoph Ruf

Wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, dass der Mensch in seiner Trägheit an einen ausgestopften Papageien erinnert, zeigt es der Umgang von uns Journalisten mit den neuen Bedingungen. Statt bei den letzten Handgriffen zu Hause noch mal zu schauen, ob man genug Geld einstecken hat, um nach dem Spiel mit ein paar Kumpels noch etwas trinken zu gehen, steht der höchst-private Sicherheits-Check an.

So vergewissert man sich, dass man den »Hygienebogen« ausgedruckt und ausgefüllt hat, der dokumentiert, dass »kein aktueller positiver Nachweis des Sars-CoV-2 vorliegt«, man lässt die Brille zu Hause, weil die trotz kunstvollster Verdrechselung des Masken-Nasenteils immer vom eigenen Atem beschlägt. Und ob man nun die Nummer 11 von der Nummer 17 nicht unterscheiden kann, weil man täglich blinder wird, oder weil das Kondenswasser aufs Schreibpult tropft, ist ja egal.

Dann ist irgendwann Schlusspfiff und man läuft durch menschenleere Gassen zur nächsten Straßenbahn-Station. Keiner grölt, keiner schubst, keiner furzt im vollbesetzten Waggon. Corona hat tatsächlich manchmal auch sein Gutes. Dass beim Geisterspiel jede Atmosphäre fehlt, hat auch einen Vorteil: Man kann sich auf den Fußball konzentrieren. Auch wenn der wirkt, als hätte man bei einem Rammstein-Konzert die Stromversorgung eingestellt, und die Musiker dennoch gezwungen, einen 90-minütiges Set abzuliefern.

Ich habe jedenfalls am Freitag beim 1:0-Sieg des SC ein kurioses Spiel gesehen. Selten seit den ersten Freiburger Gehversuchen in der ersten Bundesliga 1993 hat eine gegnerische Mannschaft im Dreisamstadion solch einen starken Eindruck hinterlassen wie Gladbach im ersten Durchgang. Noch seltener hat es der Gegner dabei nicht geschafft, wenigstens ein Tor zu schießen. Und noch nie hat er das Spiel dann auch noch verloren. Es klingt hart, aber das Ganze hatte etwas von Schulsport. Und Freiburg war die Mannschaft mit den dicken Jungen und den Mathe-Genies.

Am Ende haben allerdings die dicken Jungs gewonnen. Weil sie nach der Halbzeit wütend aus der Kabine kamen, sich nicht demütigen lassen wollten. Und weil sie im zweiten Durchgang für ihre Verhältnisse richtig gut gespielt haben. Als das Spiel vorbei war, hätte es unter normalen Umständen sicher eine richtige Feier mit den Fans gegeben. So stellte der Trainer Christian Streich - auch ohne Mund-Nasen-Schutz angemessen steril - fest, was die Punkte 39, 40 und 41 bedeuten: »Jetzt steigen wir nicht ab.«

Ich habe gelächelt, als ich das gehört habe. Eine Eilmeldung ist es ja wirklich nicht wert, wenn eine Mannschaft, die in dieser Saison noch nie in Abstiegsgefahr war, es dann tatsächlich schafft, nicht abzusteigen.

Aber eigentlich sollte es eine Eilmeldung wert sein. Denn wenn alle in der Liga so arbeiten würden wie der Sportclub, hätte die Branche nicht das Legitimitätsproblem. Freiburg hat einen der fünf kleinsten Etats der Liga, die meisten Vereine, die hinter dem Tabellen-Achten stehen, haben ein drei Mal so großes Budget. Im Kollektiv, mit viel Laufarbeit und einer gewissenhaften Gegnervorbereitung wird im Südwesten vieles wettgemacht - oder kennen Sie mehr als drei, vier Freiburger Spieler namentlich? Eben.

Überhaupt gäbe es derzeit ein paar Gründe, sich näher mit dem SC zu beschäftigen. Zu dessen Geschäftsphilosophie gehört es, erst mal gründlich abzuwägen, bevor man mit Millionen um sich wirft. Genau deshalb zählt er auch nicht zu den Klubs, die binnen weniger Wochen pleite gegangen wären, wenn das TV-Geld sie nicht gerettet hätte. Man hielt Rücklagen hier nie für altmodisch - und den Staat nicht für eine Melkkuh. So zählt der SC zu den wenigen Vereinen, die in den vergangenen Wochen keine Kurzarbeit beantragt haben, weil es auch bei den Gehältern der Freiburger Spieler nicht passen würde, die Geschäftsstelle vom Staat alimentieren zu lassen.

Und obwohl man sich gewünscht hätte, dass der Verein mal etwas lauter sagt, was alles falsch läuft in der Branche und es für seine Verhältnisse merkwürdig undifferenziert war, wie Trainer Streich den Neustart mitsamt DFL lobte, muss an dieser Stelle einfach mal festgestellt werden, dass man diesem Verein den Klassenerhalt von Herzen gönnt.

Ist sonst noch was passiert am Wochenende? Ja, der FC Bayern ist faktisch Meister. Aber ich will Sie jetzt nicht langweilen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.