Gemeinsam stark

In Hamburg beendete die Polizei die Black-Lives-Matter-Demonstration mit Wasserwerfern und Reizgas

  • Daniel Lücking und Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Wegen des gewaltsamen Tods des Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis, USA, gab es am Wochenende bundesweit Demonstrationen. Dabei ging es auch um Rassismus in Deutschland, auch um die Opfer rassistischer Polizeigewalt in diesem Land. »Das war ein großartiges Zeichen gegen Rassismus«, sagte der Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Niema Movassat dem »nd« angesichts der Zahlen vom Wochenende. Mit 25 000 in München, 20 000 in Düsseldorf, 15 000 in Berlin, 14 000 in Hamburg sowie jeweils 10 000 in Köln und Freiburg geben die Behörden in sechs Städten Zahlen im fünfstelligen Bereich an. Einzelne Veranstalter nannten höhere Zahlen.

Movassat ist optimistisch, dass sich hier eine neue antirassistische Bewegung zusammengefunden hat. »Rassistisch motivierte Polizeigewalt gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Wir brauchen daher endlich eine Kennzeichnungspflicht und unabhängige Polizeibeauftragte«, fordert Movassat.

Audioreportage von USA-Korrespondent Max Böhnel zu den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus

Dass dies notwendig ist, zeigte sich auch am Wochenende bei einigen Demonstrationen, so in Hamburg. Nicht zuletzt die große Zahl von Menschen sorgte für den Vorwurf einer Verletzung der Coronaregeln. In der Hansestadt ging die Polizei am Samstag schließlich mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen demonstrierende Jugendliche vor. Alles sah zunächst nach einer deeskalierenden und zurückhaltenden Polizeistrategie aus. »Es stellt sich die Frage, warum die Polizei diese Linie nicht durchgezogen hat«, so der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion der Hamburger Bürgerschaft, Deniz Celik, im Gespräch mit dem »nd«.

Die Hamburger Polizei spricht auf ihrem Twitter-Account von maximal 825 erlaubten Teilnehmer*innen an zwei Plätzen, die einen antirassistischen Bezug haben. Am Rathausmarkt geht es um Solidarität mit den Geflüchteten aus Lampedusa. Die Demonstration am Jungfernsteig kam unter dem Motto »Nein zu Rassismus! Gemeinsam sind wir stark!« zusammen. Schon gegen 14 Uhr zeichnete sich ab, dass diese Zahlen weit übertroffen werden. Rund 6000 Menschen waren vor dem Hamburger Rathaus zusammengekommen. Deutlich mehr, als die von den Veranstaltern dort angemeldeten 300 Personen.

Nach nd-Recherchen könnten es rund 180 000 Demonstrierende gewesen sein, die deutschlandweit zu den Black-Lives-Matter-Demonstrationen zusammenkamen. Ein Mittelwert, gebildet aus den Angaben der lokalen Behörden und den Angaben einzelner Veranstalter, nach denen bis zum Redaktionsschluss mehr als 185 000 Menschen vermeldet wurden. Schon die erfahrungsgemäß konservativen Behördenzahlen summieren sich für den Samstag auf rund 170.000 Demonstrierende. Es kann daher von einer weitaus größeren Zahl von fast 190.000 oder mehr ausgegangen werden. Insbesonders in Berlin liegen die Behördenangaben und die von journalistischen Beobachtern, die von bis bis zu 50.000 Teilnehmern ausgehen, weit auseinander.

Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl wurden die Genehmigungen für die Zusammenkünfte in Hamburg direkt zu Demonstrationsbeginn entzogen. Celik beschreibt, dass die Polizei zunächst zurückhaltend blieb, dann aber die Demonstrierenden auch unter dem Einsatz von Polizeiketten vor sich her getrieben habe. »Es waren viele Jugendliche und Minderjährige dabei. Da wäre es besser gewesen, weiter auf Deeskalation zu setzen«, sagt Celik. Für ihn wäre eine Lösung gewesen, weitere Straßen im Innenstadtbereich freizugeben, um die Menge an Demonstrierenden besser zu verteilen.

Nach Polizeiangaben hatte es am Nachmittag aus einer Gruppe von 200 vermummten Personen heraus Angriffe auf die Polizei gegeben, woraufhin Pfefferspray eingesetzt wurde. In den Abendstunden nahm die Polizei dann mehrere Jugendlichen sowie ein Kind fest. Laut der Pressemeldung wurden 27 Erwachsene sowie 20 Minderjährige festgenommen, unter denen sich auch ein 13-jähriges Kind befand. In den sozialen Netzwerken teilen Aktivist*innen ein Video, das mehrere Jugendliche zeigt, die nach Angaben der Aktivist*innen über mehrere Stunden am Hamburger Bahnhof festgesetzt wurden. Andere Videos zeigen, wie die Polizei in eine Menge demonstrierender Jugendlicher rennt. »Wie absurd: Eine Demo gegen Polizeigewalt mit Polizeigewalt aufzulösen«, kommentiert der Chefredakteur der »Frankfurter Rundschau«, Thomas H. Kaspar, das Geschehen.

Bei Protesten in Frankfurt am Main, an denen sich etwa 8000 Menschen beteiligten, fragte eine Rednerin: »Wen ruft man im Notfall, wenn man nicht mal der Polizei vertrauen kann?« Ein junger schwarzer Mann kritisierte sogenanntes Racial Profiling, Kontrollen auf Basis äußerlicher Merkmale: »Jeder kennt die Blicke, das gemütliche Herumspazieren von Polizisten - und dann die verdachtsunabhängige Kontrolle.«

Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz hatte vor den Demos dazu aufgerufen, mehr Bewusstsein für rassistische Diskriminierung zu entwickeln. »Rassismus gibt es auch in Deutschland - in der Schule, auf der Straße, im Job, in Bus und Bahn, im Freundeskreis«, sagte die CDU-Politikerin der Funke-Mediengruppe. Dieser müsse erkannt, benannt und in allen Bereichen bekämpft werden. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -