Milliardengeschäft mit kurzen Tanzvideos
Die chinesische Plattform TikTok ist der große Renner bei Teenagern. Doch rassistische Inhalte und Datenschutzprobleme stoßen auf Kritik
Charli D’Amelio ähnelt vielen Teenagern: Sie tanzt gerne zu Popsongs, präsentiert sich dabei süß und albern. Die 16-Jährige, die mit ihren Eltern in einem Oberschichtviertel in Norwalk im US-Bundesstaat Connecticut lebt, hat allerdings mehr Erfolg als die anderen. Kurze Tanzvideos mit ihrer etwas älteren Schwester oder Freunden, die sie auf der Video-Sharing-Plattform TikTok hochlädt, haben sie zur Millionärin gemacht. Sie hat über 60 Millionen Follower, ihre Tänze wurden Berichten zufolge zwei Milliarden Mal gestreamt. Inzwischen verkauft sie auch Merchandising-Artikel wie Kapuzen-Sweatshirts, ihr Markenzeichen, hat Auftritte in nächtlichen Fernsehsendungen und bereitet eine Reality-Show vor. D’Amelio ist zum Inbegriff einer neuen Welle junger Berühmtheiten geworden. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte sie in ihrem TikTok-Profil. »Ich verstehe den Hype auch nicht.«
TikTok-Videos sind in der Regel 15 Sekunden lang, können aber zu einminütigen Videos aneinandergereiht werden. Die chinesische Plattform war schon vor Corona bei Teenagern äußerst populär. Sie hat aber noch davon profitiert, dass weltweit Millionen Menschen aufgrund von Lockdown oder Quarantäne zu Hause eingesperrt waren oder es noch sind. Auf 800 Millionen wird die Nutzerzahl mittlerweile geschätzt. Die Muttergesellschaft ByteDance mit Sitz in Peking erwirtschaftete bereits im vergangenen Jahr Gewinne von drei Milliarden Dollar, während sich die Umsätze auf 17 Milliarden Dollar im Vergleich zu 2018 verdoppelten. Mit einem geschätzten Firmenwert von mehr als 100 Milliarden Dollar gilt es inzwischen als das wertvollste Start-up der Welt.
Der Erfolg ist ein Grund dafür, dass Kevin Mayer, der zuvor bei Disney das Geschäft für Videostreaming leitete und dort als designierter künftiger Konzernchef galt, kürzlich zu ByteDance wechselte und dort Chef von TikTok wird. »Wie alle anderen war ich beeindruckt, als ich sah, wie das Unternehmen bei TikTok etwas unglaublich Seltenes aufbaute - eine kreative, positive globale Online-Community«, sagte er. Er freue sich nun auf die nächste Phase, in der das Unternehmen seine Produktpalette in allen Regionen der Welt weiter ausbaue.
Doch die Erfolgsstory hat auch Schattenseiten. So sind rassistische und sexistische Inhalte auf TikTok weit verbreitet. In einem erfolgreichen Video präsentierten zwei georgische Oberschüler ein Rezept, um ein afrikanisches Amerika zu schaffen, indem sie Wasser aus Bechern mischten, die mit »Raube Leute aus«, »Habe keinen Vater« und anderen Stereotypen beschriftet waren. Kürzlich sorgte ein TikTok-Video aus Indien, das die Parodie eines Säureanschlags auf eine Frau zeigen sollte, für Millionen negative Kritiken. Zwar löschte TikTok das Video und sperrte das Nutzerkonto. »Wir erlauben keine Inhalte, die die Sicherheit anderer gefährden, körperliche Schäden fördern oder Gewalt gegen Frauen verherrlichen«, erklärte das Unternehmen. Gleichzeitig entfernte Google in seinem Playstore viele negative Bewertungen für die TikTok-App mit der Begründung, sie seien von gefälschten Konten verschickt worden.
Auch die US-Regierung hat Bedenken geäußert, allerdings im Zuge ihrer Anti-China-Politik. Vor einigen Monaten startete sie eine Überprüfung, ob der Kauf der US-Plattform Musical.ly, die später zu TikTok wurde, durch ByteDance im Jahr 2017 die nationale Sicherheit gefährde. Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Zudem forderten demokratische und republikanische Kongressabgeordnete kürzlich die US-Verbraucherschutzbehörde FTC auf, mögliche Verletzungen der Privatsphäre durch TikTok zu untersuchen. Sie begründeten das mit »berechtigten Bedenken«, dass die chinesische Regierung Zugang zu den Daten haben könnte und dass das Unternehmen gegen die Datenschutzgesetze der USA verstoße.
Laut einem Medienbericht versucht TikTok als Reaktion darauf, einen größeren Teil seiner Aktivitäten aus China hinauszuverlagern. Unter anderem stellte das international ausgerichtete Unternehmen, das auch in Berlin ein Büro hat und das Eigenkapital schon in vielen Ländern einsammelte, zahlreiche Ingenieure und Entwickler für seinen Standort im kalifornischen Silicon Valley ein.
Der US-Konkurrenz kommt das Vorgehen in Washington natürlich gelegen. Facebook hat vor wenigen Tagen Collab ins Leben gerufen, eine Plattform, auf der Nutzer wie bei TikTok kurze Videos hochladen können. Allerdings erntete Facebook sofort ähnliche Vorwürfe: einen negativen Einfluss auf die Jugend auszuüben und die Privatsphäre zu verletzen.
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