Fragile Normalität

Schulen und Kitas kehren in den Regelbetrieb zurück

  • Claudia Krieg und Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlins Schulen sollen mit dem Beginn des nächsten Schuljahres am 10. August wieder zum Regelbetrieb übergehen. »Wir starten mit dem Vollbetrieb nach den Ferien«, erklärt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Dienstag auf der Senatspressekonferenz. Auch Brandenburg wird das so handhaben. Schon vor den Schulen sollen in Berlin am 22. Juni die Kitas auf Normalmodus schalten. »Das alles ist nur möglich, wenn wir die 1,5-Meter-Abstandsregel fallen lassen«, so Scheeres. Mit Blick auf die Schulen sei ihr wichtig, dass der Unterricht dabei »möglichst in festen Gruppen« stattfinden wird: »Wir müssen dann schauen, wie das organisiert wird.«

Bereits vor der Senatssitzung hatten am frühen Vormittag gut 80 Eltern und Kinder vor dem Roten Rathaus demonstriert und ihrem Ärger über das »Wir schauen dann« und die in ihren Augen anhaltende Betreuungskrise Luft gemacht. »Bildung sichern, Eltern entlasten!« rufen sie über den Platz vor dem Eingang. »Senat, hört ihr uns?«, fragt Sabine Ponath ins mitgebrachte Megafon. Ponath ist Bloggerin, unter anderem zu Themen wie der Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft. In wenigen Tagen, berichtet sie »nd«, habe sie mit anderen Eltern aus unterschiedlichen Netzwerken die heutige Kundgebung auf die Beine gestellt. Die Wochen angekündigte Komplettöffnung der Kitas in zwei Wochen lässt die zweifache Mutter ratlos zurück: »Ich konnte mit der überraschenden Ankündigung gar nicht so schnell etwas anfangen, weil ich mir gerade Urlaub genommen habe, um sie zu Hause zu betreuen.«

Auch in den Kitas sorgen die von vielen heiß ersehnten Öffnungen weiter für Probleme, ergänzt Katharina Mahrt von der Initiative Kitakrise: »Der Senat plant etwas auf dem Papier, aber das Personal kann diese Schritte gar nicht so schnell umsetzen.« Gerade die Kitamitarbeiter*innen, die noch immer schlecht bezahlt und unter großem Druck arbeiten, müssten nun fehlende Kommunikation und Weitsicht seitens des Senats ausbaden.

Mit großer Sorge blicken die versammelten Eltern zugleich auf die Situation an den Schulen nach den Sommerferien. Die Probleme von Kindern, Eltern und auch Lehrer*innen mit dem ausgefallenen Unterricht und dem Homeschooling werden sich in ihren Augen erwartbar fortsetzen. »Lehrer können keine Videokonferenzen mit Schülern machen, wenn diese nicht mit Geräten ausgestattet sind«, empört sich die Elternaktivistin. »Der Senat hat Tausende Laptops bereit gestellt, aber wie man unbürokratisch an diese herankommt, ist nicht in der nötigen Breite bekannt«, ärgert sie sich. Überhaupt fehle es an tragfähigen Lösungen, auch im Hinblick auf die geplante Öffnung nach den Sommerferien: So seien zum Beispiel 5600 Erzieher*innen nicht im Dienst, das werde sich auch zeitnah nicht ändern.

»Frau Scheeres muss Programme auf den Weg bringen, die wirksam sind«, fordert Janik Feuerhaus. Der zweifache Vater von Schulkindern berichtet davon, wie unmöglich es für diese sei, mit den aktuell vier Stunden Präsenzunterricht in der Schule die Lücke zu schließen, die die knapp drei Monate Homeschooling gerissen habe. »Wir Eltern sind nun mal keine ausgebildeten Lehrer«, fasst es Feuerhahn zusammen. Zusammen mit Sabine Ponath, Katharina Mahrt und anderen hat er deshalb nun die Petition »Recht auf Bildung und Betreuung sichern, Eltern entlasten« gestartet, in der sich die Forderungen der Elternaktiven bündeln.

Verständnis für die verärgerten Eltern kommt dabei von vielen Seiten. So sagt die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Ageordnetenhaus, Marianne Burkert-Eulitz, die Proteste seien »aus Elternsicht absolut nachvollziehbar«. » Es muss wieder so viel Normalität wie möglich geben. Aktuell ist das ja ein Krampf.« Auch der Vorsitzende des Landesschülerausschusses, Miguel Góngora sagt: »Eltern und Schülerinnen und Schüler wollen wieder in den Normalbetrieb.«

Sowohl Góngora als auch Burkert-Eulitz warnen indes vor den Gefahren einer zweiten Corona-Infektionswelle. Immerhin gab es in den letzten Tagen an drei Berliner Schulen neue Infektionsfälle, allein an einer Grundschule in Spandau wurden 50 Kinder und neun Lehrkräfte in Quarantäne geschickt. »Der Senat wird deshalb darauf achten müssen, dass rechtzeitig Notfallpläne vorliegen«, sagt Góngora. Das sieht Burkert-Eulitz genauso. Auch wenn die Politik »jetzt auf einem anderen Stand ist als noch vor ein paar Wochen«. Mit den Öffnungen von Kitas und Schulen gehe man ein »Wagnis« ein. Ein »Plan B« für erneute Schließungen sei daher ein Muss. »Scheeres steht massiv unter Zugzwang«, so Burkert-Eulitz zu »nd«.

Die Senatorin selbst bleibt am Dienstag in dieser Frage erwartbar vage und verweist im Kern lediglich auf die neuen Corona-Teststrategien für Schulen und Kitas sowie noch zu formulierende »Standards«, etwa – »so würde ich es mal beschreiben« – einen Wochenplan.

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