Noch ungeiler als vorher

Eine Rückkehr zur Normalität ist für die queere Szene in weiter Ferne

  • Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 3 Min.

Trotz Abstandsgebot: am Mittwochabend gibt es im gut besuchten Garten des Technoclubs about blank am Markgrafendamm in Friedrichshain eine Art Gruppenkuscheln. Bei vielen Besucher*innen war die Wiedersehensfreude in der »neuen Normalität« groß. Sie wollen mitdiskutieren, wie es angesichts der Coronakrise um Berlins queere Szene steht. Schnell wird auf der von der Bildungseinrichtung Helle Panke organisierten Veranstaltung klar: Es geht offensichtlich um viel, wenn nicht sogar um die gesamte Infrastruktur der Szene. Wie geht es mit der weiter nach Corona, wollen viele wissen.

Moderator Bodo Niendel sagt: »Vorher war es nicht geil, jetzt ist es das noch viel weniger.« Oder wie es Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) auf dem Podium formuliert: »Dinge, die schon immer scheiße waren, manifestieren sich jetzt.« Queeres Leben in Berlin - da ist man sich einig - hat es auch nach dem Ende des kompletten Lockdowns sehr schwer. Clubs, Bars oder Vereine für queere Menschen spielen eine wichtige Rolle, weil es angstfreie Orte sind, an denen sie sich verstanden fühlen. Viele dieser Orte sind seit März bis heute geschlossen, kämpfen nun um ihre Existenz. Zahlreiche Crowdfunding-Kampagnen wurden in den letzten Wochen auf die Beine gestellt, für alteingesessene Clubs wie das Schwuz oder das SO36 ebenso wie für die Zeitschrift »Siegessäule«. Die Solidarität in der Community sei groß, sagt die Autorin und Journalistin Stephanie Kuhnen, »aber auch die Angst, dass diese Orte für immer verloren gehen.«

Hinzu kommt: Viele der coronabedingten Einschränkungen gehen von einem heteronormativen Gesellschaftsbild aus. Queere Menschen leben aber oft in anderen Formen von Gemeinschaft, ihre Beziehungen bestehen eher nicht in Ehe oder klassischer Familie.

»Und was wird das aus unseren Körpern machen?«, fragt Kuhnen. »Mir fehlen die spontanen Begegnungen mit Umarmungen, es ist alles so schwer geworden«, erklärt sie. Eigentlich würden Ende Juli Hunderttausende beim Christopher Street Day durch Berlins Straßen ziehen. Aber das größte Event der Community wird dieses Jahr im Internet versenkt.

»Wir müssen jetzt soziale Kämpfe führen und weniger Kulturpolitik machen«, betont der Kultursenator. Und es brauche Geld, viel Geld. »Wir haben die Kohle ja nur so rausgehauen.« Die 800 Millionen Euro Soforthilfe für Soloselbstständige etwa, »das ist der Kulturetat eines Jahres«, so Lederer. Er zumindest wolle um jede Einrichtung kämpfen. Auf Alternativen verwies unterdessen Sabine Nuss, Co-Geschäftsführerin des Karl-Dietz-Verlags: »Eine gerechtere Steuerpolitik, partizipative Demokratie in Unternehmen, die Eigentumsfrage, das gehört weiter auf die Tagesordnung.«

Zwei Stunden wird am Mittwochabend diskutiert. Der einhellige Tenor: Die Lage ist komplex, noch nie sei die Community mit derart großen Herausforderungen konfrontiert gewesen. »Nichts ist entschieden, die Kämpfe finden gerade statt, und sie sind konkret«, sagt der Kultursenator. Dabei fordert er auch mehr Bewegung in seiner eigenen Partei: »Die Linke erklärt seit 30 Jahren, dass sie recht hat. Wir halten Widersprüche nicht aus.«

Die queere Community ist sich an diesem Abend einig: Sie darf sich nicht als etwas Isoliertes denken. Man müsse Themen immer zusammen bringen, sagt Stephanie Kuhnen: den Kampf um Freiräume, Fragen der Ökonomie, der Geschlechternormativität und des Eigentums, auch die Rolle des Gesundheitssystems, Klassenfragen und Solidarität. Dies sei wichtiger als die Frage nach Geld.

Die Frage, die sich nach zwei Stunden Diskussion über viele große abstrakte Themen aber leider trotzdem stellt, ist: »Wer am Ende dafür zahlen wird? Man weiß es heute noch nicht«, sagt Sabine Nuss.

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