Her mit den Stornogebühren!

Der Berliner Senat weigert sich, für ausgefallene Kitafahrten aufzukommen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

»Viele von uns werden nicht übers Jahr kommen«, sagt Freke Over. Er ist Betreiber eines Feriendorfs in Luhme, einem Ortsteil von Rheinsberg (Ostprignitz-Ruppin). Mit »uns« meint er die zahlreichen Beherbergungsstätten in Brandenburg, die einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes mit Kitafahrten machen, speziell mit Fahrten von Berliner Kitas.

Als diese Mitte März coronabedingt geschlossen wurden, informierte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie die Träger, dass selbstverständlich auch »Kitafahrten beziehungsweise Kinderreisen bis auf weiteres untersagt sind«. Die logische Konsequenz: Alle für die nächste Zeit geplanten Unternehmungen wurden storniert, die Betreiber der darauf spezialisierten Ferienanlagen schauten in die Röhre. So auch Freke Over, der für sein »Ferienland Luhme« von Einnahmeausfällen von bis zu 100 000 Euro spricht. »Unsere Hauptreise- und Umsatzzeit beginnt mit den Osterferien und endet mit den Sommerferien. Üblicherweise sind dann bei uns unter der Woche bis zu 90 der 110 Betten mit Kitakindern belegt.«

Dass der Senat vor wenigen Tagen verkündet hat, dass das Kitafahrtenverbot »mit sofortiger Wirkung« aufgehoben ist, ändert an der Misere nichts, sagt Over, denn die Reisen werden in der Regel weit im Voraus gebucht. »Die hatten ja alle storniert. Auf die Schnelle eine Reise jetzt neu zu organisieren, ist vielen Einrichtungen nicht möglich.« Verständlich, meint Over. Gänzlich unverständlich ist ihm hingegen die Haltung des Senats in Bezug auf die Stornogebühren, die die Verluste abmildern sollen. Während das Land Berlin diese Gebühren nämlich bei Klassenfahrten übernimmt, weist das Haus von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Kitaträger darauf hin, dass dies im Fall von Kitafahrten »nicht möglich« sei.

»Der Senat will sich hier aus der Verantwortung stehlen«, schimpft der frühere Hausbesetzer, der über zehn Jahre für die PDS im Berliner Abgeordnetenhaus saß, bevor er aufs Land zog und 2006 das ehemalige Konsum-Betriebsferienheim in Luhme erwarb. Mehrere geharnischte Schreiben hat er nun schon an die Senatsverwaltung verschickt. Eine Antwort bekam er nicht. Mit Blick auf die aktuellen Nöte sagt Over, dass es ja das Land Berlin gewesen sei, das die Reisen untersagt habe - und zwar auch nachdem es erste Lockerungen bei den Kitas gab. Nun gut, wie man es auch dreht, denn immerhin blieben auch Brandenburger Ferienanlagen wie die von Over bis Mitte Mai behördlicherseits geschlossen. Trotzdem zerren die Auseinandersetzungen mit manchen Kitas um die Stornogebühren an den Nerven.

Diese Gebühren liegen bei Over zwischen 20 und 60 Prozent. »Wir haben das Angebot gemacht, kostenfrei auf einen späteren Zeitpunkt umzubuchen.« Das hätten acht von insgesamt 40 Kitas gemacht. Von den restlichen 32 hätten wiederum die Hälfte die Gebühren beglichen, teils von den Eltern, teils von den Kitaträgern. »Mit den anderen sind wir immer noch in der Abwicklung«, so Over. »Die Senatsverwaltung sagt: Was hat das mit uns zu tun? Macht ihr das mal schön unter euch aus.«

Tatsächlich sei man schlichtweg nicht zuständig, sagt Iris Brennberger, Sprecherin von Senatorin Scheeres. »Das Land Berlin ist bei Kitareisen nicht der Vertragspartner. Das ist im Bereich Schule anders.«

Aus genau diesem Grund sagt auch Roland Kern vom Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS): »Dass der Senat da nicht in die Bresche springt, kann ich verstehen.« Kerns Verband, der 800 kleine und selbstverwaltete Kitas in der Hauptstadt vertritt, hatte seinen Mitgliedern denn auch geraten, sich den Forderungen nicht grundsätzlich zu verweigern, schon um die Ferienanbieter nicht in den Ruin zu treiben. Natürlich wäre es auch für den DaKS »die schickste Lösung«, wenn sich der Senat in der Stornofrage kulant zeige. »Aber es gibt hier nun mal keine Ausfallbürgschaft des Landes Berlin, mit der sich niemand eine Rübe machen musste.«

Over, zugleich Fraktionsvorsitzender der Linken in der Stadtverordnetenversammlung Rheinsberg, will sich vorerst nicht geschlagen geben. Denn im »Ferienland Luhme« läuft das sonst brummende Geschäft »bisher sehr mäßig«. Er und seine acht fest angestellten Mitarbeiter hoffen für die nächsten Wochen auf einen Besucherstrom von Familien mit Kindern. Auf die Anstellung von Saisonkräften hat Over sicherheitshalber aber verzichtet.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -