Versteckter Zucker bleibt unerkannt

AOK-Studie: Alarmierende Wissenslücken in Sachen gesunder Ernährung vor allem bei jungen Erwachsenen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

In Sachen Ernährungskompetenz steht Deutschland schlecht da: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger haben im Feld Ernährung nur unzureichende Kenntnisse, ihre Kompetenz ist laut einer neuen Studie des AOK-Bundesverbandes mindestens problematisch. Für die Untersuchung, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, befragte eine Agentur fast 2000 Personen zu acht Themenfeldern. Fast 54 Prozent der Teilnehmenden erklärten demnach, dass sie Nährwertkennzeichnungen nicht verstehen, Lebensmittel weder selbst zubereiten noch Vorräte gesund lagern oder Mahlzeiten planen können. Der Widerstand gegen Ungesundes fällt ihnen schwer und sie greifen eher zu den falschen Snacks.

In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen verfügen nur rund 37 Prozent über eine ausreichende Ernährungskompetenz, wissen also, wie gesunde Ernährung funktioniert. Die Unterschiede in diesem Bereich zeigen sich auch zwischen den Geschlechtern, über die Hälfte der Frauen besitzt ausreichende Kenntnisse und Fertigkeiten, aber nur weniger als 38 Prozent der Männer sind hier fit.

Wie zu erwarten, sind auch in diesem Bereich Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss im Vorteil: Mehr als die Hälfte derjenigen mit Abitur hat mindestens eine ausreichende Ernährungskompetenz.

Die einzige Überraschung: Die Ergebnisse von Menschen mit und ohne Migrationshintergrun unterscheiden sich minimal, mit geringem Vorsprung der Zugewanderten. Erklären lässt sich das unter anderem durch die häufig bei diesen noch erhaltene Tradition, selbst und mit viel Gemüse zu kochen und gemeinsam zu essen, vermutet der Kinderarzt Berthold Koletzko, der auch Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit ist.

Er kennt auch das andere Extrem: »So haben wir die Familie eines kleinen Mädchens mit einer angeborenen Störung des Eiweißstoffwechsels betreut, die auf eine gesunde Entwicklung für eine sehr strenge Diät mit genau begrenztem Eiweißgehalt angewiesen ist. Die Eltern waren mit dieser Aufgabe völlig überfordert, sie nutzten bisher weitgehend das Kantinenangebot und Fertiggerichte.«

Koletzko sieht bei jungen Eltern generell immer weniger Fähigkeiten zur selbstständigen Zubereitung von Mahlzeiten aus Grundnahrungsmitteln. Das sei auch deshalb problematisch, weil Fertigprodukte regelmäßig zu viel Kalorien, Zucker, gesättigtes Fett und Salz enthalten.

Jedoch machen Hersteller und Politik gerade jenen eine gesunde Ernährung schwer, die ohnehin benachteiligt sind, darunter die 6,2 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, die nicht richtig schreiben und lesen können. Entsprechend können sie auch Gesundheitsinformationen weniger gut verstehen, angefangen bei der Lebensmittelkennzeichnung. Nach langem Sträuben der zuständigen Ministerin Julia Klöckner (CDU), hat sich der Nutriscore, eine fünfstufige Farb- und Buchstabenskala, zwar inzwischen als bestes System durchgesetzt, Pflicht ist er jedoch immer noch nicht. Die Gefahr besteht, dass damit nur gesündere Lebensmittel gekennzeichnet werden, die zu fetten, süßen oder salzigen aber nicht.

AOK-Vorstand Martin Litsch sieht jedoch Bewegung in der Sache, auch im deutschen Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz. Ihm sei zwar bewusst, dass hier »dicke Bretter zu bohren seien«, aber er hoffe auf einen Schub in der Sache durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Wieweit das realistisch ist, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen.

Weitere Forderungen an die Politik stellt der AOK-Bundesverband beim Thema Zucker. Werbung für stark zuckerhaltige Kinderlebensmittel gehöre endlich verboten. Die Industrie solle insgesamt zu verbindlichen Zuckerreduktionszielen verpflichtet werden, da 80 Prozent der Fertiglebensmittel in deutschen Supermärkten zugesetzten Zucker enthalte. Schon beim Einkauf fehlten den Verbrauchern hier gesunde Optionen. Hinzu kommt die schon länger bestehende Forderung nach verpflichtenden Mindeststandards in der Schulverpflegung.

Diese Defizite in der Verbraucherpolitik zeigen sich in wachsenden Gesundheitsproblemen, gerade bei den nicht übertragbaren Krankheiten. Etwa stieg das Adipositasrisiko bei Kindern aus sozialökonomisch benachteiligten Familien innerhalb von zehn Jahren auf das Vierfache im Vergleich zu Familien mit hohem Status.

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