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Nicht nur ein Flughafen

Am 18. Juni 1940 rief Charles de Gaulle Frankreich zum Widerstand auf

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 5 Min.

Von ihm sei nur ein Flughafen geblieben, spottete einmal ein linker Historiker über den ehemaligen französischen Präsidenten. Doch das Erbe des vor 130 Jahren geborenen und vor 50 Jahren verstorbenen Charles de Gaulle, der mit seiner berühmten Radioansprache im Juni 1940 die große Bühne betrat, ist tatsächlich weit bedeutender. Seine Desertion nach London und die Organisierung des Widerstands nach der Kapitulation der Republik trug ihm ein Todesurteil der Kollaborationsregierung Marschall Pétains ein - und erhebt den General bis heute zu einer zentralen Figur der französischen Geschichte.

Dabei stand er im Juni 1940 ziemlich allein. In Frankreich war der Berufssoldat, der zwischen den Weltkriegen mit wenig Erfolg für die neue Militärstrategie eines »Bewegungskriegs« mit massivem Panzertruppeneinsatz gestritten hatte, weitgehend unbekannt. Und im Exil wurde er von Churchill anfangs mit skeptischer Distanz behandelt und von Roosevelt, der lange auf das Vichy-Regime setzte, sogar mit schroffer Ablehnung. Doch weil er es verstand, nicht nur in England Franzosen für die Befreiung der Heimat zu sammeln und auszubilden, sondern von London aus die verschiedenen Widerstandsnetze in Frankreich zusammenzuführen, stärkte er seine Position.

Obwohl selbst zutiefst konservativ, hat er dabei seine Ablehnung der Kommunisten immerhin zurückgestellt. Mit ihnen, die den größten Anteil am Widerstandskampf in Frankreich hatten, musste er zusammenarbeiten. So konnte er sich als führender Repräsentant des »Freien Frankreich« etablieren, vor allem gegenüber Churchill und Roosevelt. Dennoch blieb seine Furcht, die Kommunisten könnten versuchen, die Befreiung Frankreichs in eine Revolution zu überführen. Das bewog ihn zum Beispiel im August 1944, die USA zu überzeugen, mit den Militärs des »Freien Frankreich« dem Aufstand zur Selbstbefreiung der Hauptstadt beizuspringen. Dieser war eigentlich von den Kommunisten ausgelöst und angeführt worden, so aber konnte man sie an den Rand drängen. Am Ende galt de Gaulle als Befreier.

Als Chef der ersten provisorischen Regierung band er nach ähnlichem Muster die Kommunisten mit einigen Ministerposten ein. Doch als der stets sehr ambitionierte Charles de Gaulle in den ersten Nachkriegsjahren zu hoch pokerte, musste er zunächst abtreten. Er zog sich in sein Haus im Dorf Colombey-les-Deux-Églises zurück.

Als 1958 der Algerienkrieg und der innenpolitische Konflikt um die Zukunft der damaligen Kolonie zu einer schweren Krise führte und die Gefahr eines Staatsstreichs der Militärs bestand, wurde Charles de Gaulle vom Staatspräsidenten und der Parlamentsmehrheit zurückgeholt, um »Frankreich ein zweites Mal zu retten«. Er nutzte die ihm übertragenen Vollmachten und schuf als Erstes eine neue Verfassung mit einem Präsidialregime, das ganz auf seine Ambitionen zugeschnitten war. Als erster Präsident der sogenannten Fünften Republik legte er das Hauptgewicht auf nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, auch gegenüber dem Vormachtstreben der USA.

Er war dabei realistisch genug, den Kolonialismus als überholt zu erkennen, und leitete die Unabhängigkeit der Kolonien ein - freilich nicht, ohne dem ehemaligen »Mutterland« dort wichtige Positionen und Ressourcen zu sichern. Dass er 1963 durch die Evian-Verträge auch Algerien in die Eigenstaatlichkeit entließ, brachte ihm den Hass der reaktionärsten Kräfte ein, die bis zuletzt an einem »französischen Algerien« festgehalten hatten. Das ging bis zu Mordanschlägen von Ultras auf den Präsidenten.

Doch während de Gaulle hierbei noch einmal staatsmännische Größe bewies, verstand er die neue, sich ändernde Welt nicht mehr, die sich 1968 mit den Unruhen der Studenten und Generalstreiks ankündigte. Er geriet ins Abseits und trat 1969 unter einem Vorwand zurück. 1970 verstarb er im Alter von 80 Jahren.

Heute sind nach ihm in Frankreich mehr als 4000 Straßen, Plätze und Schulen benannt. Neben Napoleon und Ludwig XIV. gehört de Gaulle zu den Franzosen, über die die meisten Bücher erschienen sind. Er gab einer politischen Strömung - den »Gaullisten« - den Namen, die inzwischen allerdings in der rechtsbürgerlichen Sammlungspartei »Die Republikaner« aufgegangen ist.

Auch von links werden heute seine Schritte zur Entkolonialisierung gewürdigt, das Ende des Algerienkriegs und auch der Austritt aus der Militärstruktur der Nato. Dennoch war er für die Sozialistische Partei lange ein rotes Tuch. Als Oppositionspolitiker bezichtigte deren Galionsfigur François Mitterrand den Präsidenten gern eines »permanenten Staatsstreichs«. Das hinderte ihn nach seinem Wahlsieg von 1981 freilich nicht, all die Machtfülle auszuschöpfen, die de Gaulles Verfassung dem Präsidenten auf Kosten des Parlaments zukommen lässt.

Auch Emmanuel Macron nimmt bei de Gaulle Anleihen mit seinem Glaubensbekenntnis, weder rechts noch links, sondern für Frankreich zu regieren. An den paternalistischen »Linksgaullismus« erinnern Bestrebungen im Regierungslager, die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik durch staatskapitalistische Planungs- und Lenkungsmodelle oder Gewinnbeteiligungen etwas zu entschärfen. Wenn Marine Le Pen mit penetrantem Eifer versucht, an General de Gaulle anzuknüpfen, und vorgibt, dessen Nationalismus liege auf einer Linie mit dem eigenen Pochen auf »Vaterland« und »Identität«, ist das freilich nur ein weiterer Versuch, den Rechtsextremismus zu »entdiabolisieren«.

Doch kann Le Pen auch damit nicht vergessen machen, dass die von ihrem Vater gegründete und heute von ihr geführte Partei einerseits im Kampf gegen Präsident de Gaulle und dessen Politik in Algerien und Afrika wurzelt und andererseits im Bekenntnis zu Pétain und Vichy, die Charles de Gaulle entschlossen bekämpft hat.

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