Zwischen Entlassung und Kasernierung
Millionen von Hausangestellten in Lateinamerika gehören zu den Verlierern der Corona-Pandemie
Das Decreto Legislativo No. 1499 ist für Adelina Díaz ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft der Hausangestellten Fentrahogarp hält das Dekret, das die peruanische Regierung verabschiedete, um die Rechte der Hausangestellten in der Coronakrise zu schützen, für einen Fortschritt. Aber es müsse auch durchgesetzt werden, denn die 500 000 Hausangestellten beiderlei Geschlechts seien bisher vonseiten des Staates alleingelassen worden. Ob sich daran mit dem Mitte Mai verabschiedeten Dekret etwas ändern wird, muss sich zeigen.
Ähnlich wie in Peru sind die Rechte der Hausangestellten auf dem gesamten Subkontinent nahezu nicht gesetzlich fixiert. In der Coronakrise wird mit den guten Geistern mies umgesprungen. Arbeiter*innen, die entlassen wurden, gibt es nicht nur in Peru zu Tausenden, und es trifft oft alleinerziehende Mütter. Die landen im sozialen Abseits, sind auf Nahrungsmittelhilfe von den Nachbarn angewiesen.
Auf diese prekäre Situation reagiert nun das Decreto Legislativo No. 1499, denn es legt Standards für die Beschäftigung von Hausangestellten fest. Vorgeschrieben ist fortan, dass der Anstellung ein schriftlicher Vertrag zugrunde liegen muss, was in Peru laut den Gewerkschaften in 92 Prozent der Fälle nicht so ist.
Ein Fortschritt, den auch Sofia Basilio anerkennt. Sie begrüßt, dass das Dekret Arbeitsbedingungen vorschreibt und jegliche Diskriminierung unter Strafe stellt. »Aber es kommt sehr spät, und es deckt auch nicht alle Elemente der Konvention 189 ab«, so die Direktorin der »Casa de Panchita«, einer Anlaufstelle für Hausangestellte in Lima. Das Zentrum engagiert sich seit mehr als zwanzig Jahren für die Rechte der überwiegend weiblichen Hausangestellten in Peru und bietet Schulungen an.
Die Konvention 189 wurde 2011 von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedet, um die teilweise sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen von Hausangestellten zu verbessern. In Lateinamerika ist der Anteil indigener Frauen und Männer überproportional groß und Diskriminierung am Arbeitsplatz weit verbreitet. Das soll sich durch die Konvention ändern, die auch klare Vorgaben für Arbeitszeiten und Entlohnung enthält. In Peru werden gerade zwei Gesetzesvorlagen diskutiert, um die Konvention zu implementieren.
In kaum einem Land der Region wurde die ILO-Konvention zeitnah in nationales Recht übertragen. Für die Beschäftigten hat das in der Coronakrise massive Folgen. Schutzmasken und Handschuhe haben Hausangestellte in Peru und Mexiko nur selten erhalten. Viele Arbeitgeber*innen schreiben ihren Angestellten vor, dass sie das Haus oder die Wohnung nicht verlassen dürfen, um ihre eigene Familie nicht zu gefährden. »De facto sind das sklavenähnliche Zustände, die in Mexiko genauso wie in Peru und anderen Ländern herrschen«, so Marcelina Bautista. Sie ist Direktorin des Zentrums zur Unterstützung und Weiterbildung von Hausangestellten in Mexiko-Stadt und hat ab ihrem 14. Lebensjahr rund zwanzig Jahre als Hausangestellte gearbeitet.
In der Coronakrise beobachtet Bautista einen Rückfall. »Die Arbeitgeber setzen sich fast überall über die Rechte der Hausangestellten hinweg, agieren wie im letzten Jahrhundert«, kritisiert sie. In Mexiko ist das Gesetz zum Schutz der Rechte von Hausangestellten seit Mai 2019 in Kraft. »Viele Arbeitgeber wissen davon nichts, andere ignorieren die Rechte ihrer Angestellten bewusst«, so Bautista. Sie engagiert sich lateinamerikaweit seit vielen Jahren für die Ratifizierung und Implementierung der ILO-Konvention 189. Doch Peru und Mexiko haben die Konvention erst in den letzten 18 Monaten ratifiziert. Bis heute steht die Implementierung in nationales Recht aus, und damit fehlt auch die Möglichkeit für Sanktionen.
In Peru setzt die Gewerkschaft nun die Regierung unter Druck, den wegen der Corona-Pandemie entlassenen Hausangestellten mit einem Notprogramm zu helfen. In Mexiko hat das Zentrum zur Unterstützung und Weiterbildung von Hausangestellten den Regisseur Alfonso Cuarón gewinnen können. Dieser wurde mit »Roma«, einer Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt eine Hausangestellte steht, international bekannt. Cuarón appellierte nun an Mexikos Mittel- und Oberschicht, die Löhne der Hausangestellten weiterzuzahlen. Das sei positiv, so Marcelina Bautista. Das A und O sei jedoch die Implementierung der ILO-Konvention 189 in nationales Recht, so die 54-Jährige.
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